Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
entgegengelaufen.
«Strohpüppchen für Euer Töchterchen, Madam. Nähnadeln? Ganz fein poliert und sicher ohne Rost. Oder Dörrpflaumen? Ja, Dörrpflaumen, die letzten, bevor der Winter zu Ende geht, eine Gelegenheit, Madam.»
Die zittrige Stimme verstummte, versickerte gleichsam, und Rosina wandte sich nach ihr um, sie wollte nichts kaufen, erst recht keine Strohpüppchen oder Dörrpflaumen, und sah in ein graues zerknittertes Gesicht mit ungesund geröteten Wangen und Lidern. Eine magere alte Frau, unter einem wollenen Tuch dünnes strähniges Haar, grau wie Schiefer, auch um ihre Schultern ein Wolltuch, das mehr von den Flickfäden als dem eigenen Gewebe zusammengehalten wurde. Rosina suchte in ihrer Rocktasche nach einer Münze – irgendwo musste die kleine lederne Börse stecken –, als ein ebenso alter Mann herantrat, das dünne strähnige Haar unter einem verbeulten runden Hut schiefergrau, ein zerknittertes Gesicht.
«Ihr wohnt hier», stellte Rosina plötzlich fest, «hier ganz in der Nähe. Im Souterrain? Nein, bitte, nicht weggehen», bat sie, als die beiden sich einen erschreckten Blick zuwarfen und umdrehten. «Ich bin wegen, ja, wegen Wanda hier, Ihr habt sie doch gekannt. Die gute Wanda, ja?»
Sie hatte richtig vermutet, die beiden blieben stehen, sahen sich an, seufzten tief und kummervoll zugleich wie aus einem Mund und sahen dann diese Fremde, die Wanda gekannt hatte, fragend an. Wagners kurze Beschreibung war absolut passend gewesen, jetzt fielen Rosina auch wieder die Namen ein, Mette und Eustach Lindbeck. Die Straßenhändler, die die Tote aus der Alster im Eimbeck’schen Haus identifiziert und nur Gutes von ihr gesprochen hatten. Wenn irgendjemand bereit war, über die Tote zu reden, und den ein oder anderen privaten Klatsch wusste, dann diese beiden.
In den Sommermonaten war das Haus hinter üppigem Grün verborgen und vom Fahrweg nicht zu sehen. Die schmale Abzweigung mochte Neugierige verleiten, dem von Schlehen, Haselgesträuch und Weißdorn gesäumten Zufahrtsweg zu folgen, einfach um zu sehen, was an seinem Ende wartete, doch das geschah selten. Gleichwohl konnte das schon nahe dem Dorf Wandsbek, aber noch abseits gelegene Anwesen nicht als einsam bezeichnet werden, denn es wurde von vielen Gästen besucht. Besonders die Dame des Hauses galt als gesellig, doch auch der Herr des Hauses war alles andere als ein Einzelgänger, tatsächlich liebte und pflegte er Gesellschaft noch mehr als seine Gattin. Dennoch, wenn er auch als ein überaus ansehnlicher, unterhaltsamer und stets elegant gekleideter und frisierter Kavalier galt, die eigentliche Gastgeberin war Madam Junius.
Auch der Garten hinter dem im Stil italienischer Landhäuser, allerdings in solidem norddeutschem Backstein erbauten Anwesen war gepflegt und lud ein, sich zwischen Eiben- und Buchsbaumhecken, Rosen, Flieder und anderen zart duftenden Blüten zu ergehen. Jetzt im März konnte davon natürlich noch keine Rede sein.
Vom ersten Stock des Hauses ging der Blick weit über eine friedvolle Landschaft, über Wiesen und Felder, dazwischen Haine von Laubhölzern, Bäche, an deren Ufern schon die goldenen Blütenkränze des Huflattichs aufleuchteten, auch Teiche und Dächer einiger von uralten Eichen bewachten Gehöfte. Ein Habicht zog über der Pferdekoppel hinter dem Garten Kreise, als er mit seinen scharfen Augen eine Beute fixierend treffsicher herabschoss, wandte Madam Franziska Junius sich abrupt um und wieder den beiden Frauen zu, die nebeneinander auf dem hochlehnigen gepolsterten Kanapee saßen.
Es hatte sie einen kurzen Moment der Überwindung gekostet, ihren Besucherinnen diese mit kostbarem Samt bezogene Sitzgelegenheit anzubieten, beider Röcke waren alles andere als reinlich – so war es eben, wenn man sich bei tauendem Boden auf den Weg von Hamburg hier heraus machte. Immerhin hatten sie ihr Schuhwerk im Entree gelassen, grobe Holzpantinen, wie sie um diese Jahreszeit für einen solchen Weg zweckmäßig waren. Eine der Mägde hatte sie mitgenommen, wenn die beiden das Haus wieder verließen, würden sie ihr Schuhwerk sauber gebürstet am Seiteneingang finden. Wilhelmine Cordes und auch Elske Probst wussten das, so war es stets zu Zeiten staubiger oder morastiger Wege, also fast immer. Nicht dass sie ständige Gäste in diesem Haus waren, wenn sie sich mit Franziska trafen, was in den letzten Jahren nicht allzu oft vorgekommen war, dann meistens im Zimmer hinter Wilhelmines Laden. Im Laufe der Jahre waren
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