Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
aus.»
Augusta nickte. «Es dauert lange in diesem Jahr. Ich habe am Ende vieler harter Winter erlebt, wie messerscharf das Eis werden kann. Dann sind seine Wirkungen an Schiffswänden und Brücken verheerend, auch an den Vorsetzen. In den nächsten Wochen wird wieder viel repariert werden müssen. Der Bug der Meredith ist mit Kupferplatten verstärkt, das ist die englische Bark, die auslaufen will. Sie liegt dazu auch günstig an den äußeren Duckdalben schon vor dem Hornwerk, da ist ihr wohl kein anderes Schiff im Weg. Der Kapitän hat es eilig, er wollte sicher nicht den halben Winter hier verbringen. Ich hoffe nur, er geht kein echtes Risiko ein. Sein Schiff hat wochenlang im Eis gelegen, ob es da seetüchtig ist, ohne gründlich überholt zu werden, neu kalfatert und …»
Sie brach mitten im Satz ab. «Das geht mich überhaupt nichts an», sagte sie dann, «er wird schon alles veranlasst haben, was nötig war», und Rosina erinnerte sich, dass Augusta ihren Mann und ihren Sohn, ihr einziges noch lebendes Kind, auf See verloren hatte. Die Sorge um eine gute Heimkehr selbst gänzlich fremder Schiffe hatte sie nie verlassen.
«Erzählt Ihr mir mehr von Eurer Freundin?», bat Rosina, als das Schweigen drückend wurde. «Ich weiß nur, dass Ihr sie schon viele Jahre kennt und sie – wie habt Ihr gesagt? Exzentrisch sei?»
«So muss man es nennen, wenn man nicht ‹ein bisschen verrückt› sagen will, und das lehne ich ab. Es wäre auch falsch. Ihr werdet ja sehen, Rosina. Bildet Euch selbst ein Urteil. Schaut mal, dort drüben bei der Weide, sind das schon blühende Haselsträucher?» Sie beugte sich über den Rand der Kutsche und sah hinunter auf den Wegrand. «Ja, ich dachte es vorhin schon. Und neben diesem Rinnsal, das einmal ein Bach werden will, blüht der Huflattich. Wie immer einer der Allerersten.»
Die Kutsche hielt. «Hier teilt sich der Weg, Madam Augusta, wie geht es weiter? Links oder rechts?»
Augusta blickte sich suchend um und entschied sich für den linken Weg. «Links. Der weniger befahrene ist der richtige, immer an der Kopfweidenreihe vorbei. Es ist nicht mehr weit. Wenn es ein bisschen wärmer wird», folgte sie ihren Gedanken weiter, «wird Amanda wieder Hoffnung schöpfen. Sie würde es niemals zugeben, aber bestimmt hat sie während der letzten Wochen ihre Dickköpfigkeit verflucht und sich nach ihrer warmen westindischen Insel zurückgesehnt.»
«Ihr kennt sie schon sehr lange.»
«Wir waren Nachbarskinder. Man kann es sich kaum mehr vorstellen, wir beiden alten Matronen waren einmal kichernde kleine Mädchen.»
Als die junge Augusta nach Kopenhagen verheiratet wurde, verloren sie einander zunächst aus den Augen, das private Briefeschreiben wurde damals noch wenig gepflegt. Amanda heiratete Oswald Söder, der schließlich als zweiter Sohn einer erfolgreichen Kaufmannsfamilie nach Kopenhagen ging, um sich wie sehr viele Deutsche in der dänischen Hauptstadt niederzulassen.
«Dort haben wir uns natürlich wieder getroffen», erklärte Augusta, «man kennt dort einander wie hier. Sie war damals schon recht eigenwillig, aber das mochte ich gerade an ihr. Ich habe es sehr bedauert, als sie mit ihrem Mann und ihren Kindern nach St. Croix übersiedelte. Das ist eine der dänischen Inseln in den westindischen Kolonien.»
«Um Zucker anzubauen?»
«Auch das, ja. Das glaube ich jedenfalls. Hauptsächlich aber wohl, um eine Handelsniederlassung zu betreiben. Ich bin mir nicht sicher, denn kaum war Amanda fort, hörte ich nur noch selten von ihr. Zumeist durch Reisende, die von dort zurückkamen. Sie ist eben keine Briefeschreiberin, und über den Ozean ist das ohnedies mühsam. Man weiß nie, ob die Post nach einem halben oder nach zwei Jahren oder überhaupt ankommt. Kurz und gut, plötzlich kam wieder Post von ihr, nach vielen Jahren in diesem Winter, ausgerechnet aus Wandsbek.»
Augusta hatte sich gleich auf den Weg gemacht, was sie dort vorfand und hörte, war wenig erfreulich und erregte ihre Sorge. Amanda Söder, seit einigen Jahren Witwe, hatte sich mit ihrem Sohn, dem Nachfolger und Erben seines Vaters, zerstritten und endlich völlig überworfen. Wenn Augusta es richtig verstanden hatte, hauptsächlich, weil er die Geschäfte anders führte als Oswald Söder, der ein steinharter Knochen gewesen war (so drückte es nicht Madam Söder aus, sondern Augusta). Zum Beispiel behandelte der jüngere Söder die Sklaven im Haushalt wie auf der Plantage in Amandas Augen viel zu gut,
Weitere Kostenlose Bücher