Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Dorthin führt auch eine schmale Zufahrt, allerdings von der anderen Straße. Nein, das ist ein Etablissement, von dem unsere Herren glauben, dass ihre braven Damen noch nie davon gehört haben, selbst wenn sie dort häufig zu Gast sind und viel Geld lassen. Man kann selbst dort auch an den Spieltischen gewinnen, in der Regel verliert aber der Gast. Wie überall, wo gespielt wird. Gewöhnlich brennt dort ein Licht hinter rotem Glas, es ist von hier nicht zu sehen. Das Etablissement gehört übrigens einer Frau, natürlich nicht offiziell, es soll zu diesem Zweck einen als Ehemann fungierenden Herrn geben. Jetzt könnt Ihr Amandas Schloss sehen, Rosina, dort auf der anderen Seite des Hains.»
Was in Sicht kam, war kleiner, vor geraumer Zeit dennoch mit dem ersten Anwesen vergleichbar gewesen. Nun bedurften Ziegel und Fachwerk ebenso dringend der Ausbesserung wie das einst hübsche Spitzdach, von den Fenstern gar nicht erst zu reden, die meisten im Parterre waren mit Brettern vernagelt. Die ansehnliche Anlage war noch zu erahnen, auch wo einst die Auffahrt gewesen war, Reste einst gepflegter mannshoher immergrüner Hecken säumten sie noch.
Mit dem Matsch war es nicht so schlimm, wie Augusta befürchtet hatte.
«Alle Achtung», murmelte sie, als sie mit Rosinas Unterstützung aus der Kutsche kletterte. «Wie hat sie das geschafft? Der Bohlenweg zum Haus», erklärte sie auf Rosinas fragenden Blick, «und dort oben, in der zweiten Etage, erkenne ich saubere Fenster.»
Unter einer Linde, die aussah, als habe sie schon Störtebekers Zeiten erlebt, stand eine Rundbank, die kaum das nächste Gewitter überstehen würde, aber ausreichte, das friedliche Pferd festzumachen. Rosina klopfte ihm gerade den Hals, als Augusta zu den oberen Fenstern hinaufsehend erschreckt nach Luft schnappte und Rosina mit einem Ruck hinter die Kutsche zog. Es gab einen mächtigen Knall, etwas zischte über ihre geduckten Köpfe, und zum ersten Mal in all den Jahren ihrer Bekanntschaft hörte sie Madam Augusta einen grandiosen Wutschrei ausstoßen.
«Verdammte Idiotin!», schrie sie mit für eine vornehme alte Dame erstaunlicher Kraft und Vehemenz. «Du verdammte Irre! Wage nicht noch einmal, deinen Schießprügel auf uns zu richten, Amanda, sonst gnade dir Gott. Bist du blind? Ich bin’s doch, Augusta.»
Stille.
Rosina hatte alle Hände voll zu tun, das erschreckte Pferd zu beruhigen, trotzdem amüsierte sie sich.
«Ihr seht großartig aus, Madam Augusta», rief sie. «Ich dachte immer schon, dass überzeugte Sklavenhalterinnen Euch zornig machen.»
«Nun stell dich nicht so an, Augusta.» Amanda Söder schnitt scharf und abfällig mit dem Zeigefinger durch die Luft. «Wie soll ich auch nur ahnen, dass du es bist? Ich will noch keinen Besuch haben. Hast du den Brief nicht bekommen? Wundert mich nicht. Hier herrscht nur Unzuverlässigkeit. Und was man für geringste Kleinigkeiten verlangt! Für einen banalen Botendienst, selbst für die schlechteste Zuckersorte. Es ist ungeheuerlich.»
«Hör auf, Amanda.» Augustas Stimme war ganz sanft. «Du wirst dich daran gewöhnen, und wenn du Hilfe brauchst, weißt du, wo ich bin. Jederzeit.»
Amanda machte ein griesgrämiges Gesicht, und Rosina blickte Madam Augusta voller Bewunderung an. Wie gelang es ihr nur, zu dieser alten Hexe freundlich zu sein?
«Ich möchte jetzt nur eines von dir hören», fuhr Augusta fort, nun doch wieder einen Anflug von Strenge in der Stimme. «Warum, um Himmels willen, schießt du auf Besucher? Ohne auch nur zu prüfen, wer es ist?»
«Warum? Man ist hier nie sicher, hier schleichen Leute rum, dunkle Gestalten, du hast ja keine Ahnung. Einen Wolf habe ich auch gesehen. Nachts im Garten. Ich habe dich nicht erkannt, weil ich dich nicht gesehen habe. Da war nur deine Zofe.»
«Du meinst Madam Vinstedt, Amanda. Ich habe sie dir gerade vorgestellt. Sie ist keine Zofe, sondern eine Dame wie du und ich. Wobei ich sagen muss, dass du von uns am wenigsten nach einer Dame aussiehst. Allerdings schon sehr viel mehr als bei meinem letzten Besuch.»
Amanda Söders Kleid war von erlesenem Stoff, was man nur noch erkannte, wenn man sehr genau hinsah, ihr Gewand brauchte dringend Nadel und Faden für aufgeplatzte Nähte und Säume, es war abgewetzt und schmuddelig – um es freundlich auszudrücken. Ihr strähniges graues Haar, das seit geraumer Zeit keine Bürste mehr gefühlt hatte, wurde nur unzureichend von einem zarten Häubchen bedeckt. Das wiederum war aus sauberem
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