Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
männlichen Gäste in dem anderen, übrigens tadellos gepflegten Haus in seiner weiteren Nachbarschaft ein und aus gingen. Über ein solches Haus wollte er nichts wissen, was weniger von seiner Armut zeugte als von seiner Moral und tiefen ehelichen Liebe und Treue.
«Ich verstehe wirklich nicht, Monsieur», wiederholte er stolz. «Ich spreche von Madam Söder, einer betagten Dame, die der Hilfe bedarf. Aber wie ich schon sagte, ich bin in Eile.» Er wandte sich wieder Claes Herrmanns zu. «Wenn Ihr so gütig seid, Madam Kjellerup auszurichten, Madam Söder lässt uns nicht mehr auf ihren Besitz, dabei will Rebekka nur helfen, der alten Dame und ihrer Magd, die mit ihren gichtigen Händen nichts mehr schafft. Madam Söder», er beugte sich ein wenig näher und senkte seine Stimme, «sie hat mit einem Gewehr gedroht. Da muss man sich doch Sorgen machen, offenbar fühlt sie sich selbst bedroht. Madam Augusta kennt sie schon seit Jahrzehnten, ihr wird sie den Zugang gewiss nicht verweigern. Alte Leute», schloss er mit einem Seufzer und richtete sich wieder auf, «sind oft misstrauisch, leider auch oft zu Recht, in unserem Fall allerdings entschieden zu Unrecht. Messieurs.» Er verbeugte sich knapp vor Herrmanns, ignorierte Pauli und drängte sich schnurstracks zurück zur Tür und war verschwunden. Claes hoffte, Claudius habe ihn noch rufen hören, er bedanke sich und werde Augusta alles ausrichten.
«Komischer Vogel», sagte Pauli, «da habe ich wohl etwas danebengegriffen, was? Ich müsste mich entschuldigen, aber er war so schnell verschwunden. Ist er Pastor oder theologischer Kandidat?»
«Nein.» Claes lächelte. «Schlimmer. Er ist Dichter. Oder dabei, einer zu werden.»
Der kürzlich noch vom Frost brettharte Grund war morastig geworden. Was auf der vielbefahrenen Straße, die durch das Steintor hinaus und immer weiter nach Nordost nach Lübeck führte, schon sehr morastig bedeutete, sodass die beiden Damen in ihrer leichten Kutsche trotz des kräftigen Zugpferds nur langsam vorankamen. Madam Augustas Einladung, sie nach Wandsbek zu begleiten, hatte Rosina gefreut. Sie hatte vorgeschlagen, die Fahrt mit Annes Einspänner zu machen. Dann könne sie selbst kutschieren.
«Ein guter Vorschlag, meine Liebe», hatte Augusta heiter zugestimmt, genau das habe sie auch gedacht.
Da war der inzwischen vom Pferdejungen zum zweiten Stallmeister aufgestiegene Benni auch schon mit dem flinken zweisitzigen Gefährt vorgefahren, das leicht mit der strahlenden Neuerwerbung des Seidenhändlers Pauli konkurrieren konnte.
Bedauerlicherweise saß Claes Herrmanns zu dieser Zeit noch in Jensens Kaffeehaus, die besorgte Nachricht Matthias Claudius’ hatte die Adressatin noch nicht erreichen können. Sie wusste also nicht, dass die Fahrt nach dem idyllischen Dorf Wandsbek womöglich ein Wagnis war. Wer beide kannte, mochte annehmen, dieser Umstand hätte sie kaum von ihrem Ausflug abgehalten, sondern nur zur Eile angetrieben. Ob aus Abenteuerlust oder Sorge um Madam Söder, sei dahingestellt.
Als sie am Borgesch vorbeigerollt waren, hatte Rosina versucht, einen Blick auf den Eschenkrug zu werfen, und überlegt, bei der Rückfahrt dort Rast zu machen. Madam Augusta war für so etwas immer zu haben, umso mehr, wenn Rosina ihr die Wahrheit sagte, nämlich dass sie tatsächlich nur sehen wolle, ob Elske dort sei, eine Freundin der Toten aus der Alster, und inzwischen etwas Klärendes zu berichten habe.
Sie hatte nur einen raschen Blick in Richtung Schänke am Holzplatz werfen und bis auf das tiefgezogene Dach und den munter rauchenden Schornstein nichts entdecken können, den ungeduldigen Falben im Zaum zu halten, forderte ihre ganze Aufmerksamkeit. Gleichwohl genoss sie das Gefühl, wieder Zügel in ihren Händen zu halten, es war viel zu lange her, seit sie das letzte Mal auf dem Kutschbock gesessen hatte.
Bald nachdem sie auch den Lübschen Baum passiert und endgültig freies Feld erreicht hatten, ließ Augusta Rosina die Kutsche auf einen kaum befahrenen Nebenweg lenken, hier war der Boden fester, und die Räder rollten ruhiger.
«Wie kalt der Wind noch ist. Gut, dass Benni so fürsorglich war, die Decken mitzubringen», erklärte Augusta und lehnte sich in die Polster zurück. «Trotzdem wird es nun endlich Frühling. Habt Ihr gehört, dass morgen oder übermorgen die erste Bark den Hafen verlässt?»
«Wirklich? Ich dachte, die Schiffe laufen erst aus, wenn das Eis sich stärker aufgelöst hat. Es sieht noch nicht so
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