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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Tobi nach seiner Prügelei.» Immer dachte man in solchen Situationen an Nebensächliches.
    «Alles in Ordnung, Mademoiselle? Geht’s Euch gut?» Die Männerstimme erreichte nur verzögert ihr Bewusstsein.
    «Madam», murmelte sie wie ein Automat.
    «Na, fabelhaft», die Stimme lachte mit freundlichem Spott, «wenn Euch die richtige Anrede Sorgen macht, kann’s nicht wirklich schlecht stehen.»
    Rosina blickte starr über den See, niemand war mehr auf dem Eis, auch nicht das Kind mit seiner Gouvernante, dann in ein junges Gesicht unter einem Wust von dunklem, im Nacken gebundenem Haar. Endlich begriff sie, was geschehen war, und fühlte tief das Erschrecken.
    «Ihr habt mich vom Eis gezogen», konstatierte sie mit nun doch zitternder Stimme. «Ohne Eure Hilfe …»
    «Stimmt, wir beide.» Er deutete auf einen Mann, der damit beschäftigt war, Rosinas tropfnasses Umhangtuch auszuwringen. Er mochte um ein gutes Jahrzehnt älter als der andere sein, nämlich Mitte seiner dreißiger Jahre, vielleicht erschien es auch nur so wegen des wettergegerbten Gesichtes und der ernsten Augen.
    «Das Tuch haben wir auch aus dem Wasser gefischt, es wird Euch heute nicht mehr wärmen», fuhr der Jüngere fort, schlüpfte aus seiner großen Joppe und legte sie Rosina um die Schultern. «Ihr geht besser rasch heim, sonst holt Euch der Tod doch noch. Habt Ihr es weit? Soll ich eine Sänfte holen? Wir können Euch leider nicht bringen», erklärte er mit einem galanten bedauernden Lächeln, «unser Wagen ist voll Holz, das müssen wir erst abladen. Bis dahin seid Ihr erfroren.»
    Als Rosina ihn nur stumm anblickte, tatsächlich durch ihn hindurchblickte, wandte er sich hilfesuchend an den Älteren, der einer fürsorglichen Hausfrau gleich das gewrungene Tuch gründlich ausschüttelte. «Pieter, hilf mir mal, ich glaube, es geht ihr doch nicht so gut. Halt, wo wollt Ihr hin? Madam? Seid Ihr verrückt?»
    Jemand lachte meckernd, erst jetzt bemerkte Rosina, dass sich Schaulustige um sie gesammelt hatten, alle hielten so neugierig wie respektvoll Abstand. Ertrinkende und ins Eis Eingebrochene brachten Unglück, das wusste jeder. Aber wenn diese beiden Holzarbeiter so dumm gewesen waren, der übermütigen Weibsperson beizustehen, konnte noch alles Mögliche geschehen, was das Gleichmaß des Alltäglichen aufs angenehmste unterbrach.
    Mit einem Satz war der junge Mann mit dem dunklen Haar bei dieser seltsamen Frau, die er und der andere Holzarbeiter vom Borgesch vom Eis gezogen hatten, wobei sie vielleicht nicht ihr Leben, doch zumindest nasse Füße und Hosen riskiert hatten. Er hatte davon gehört, dass vor dem Feuer gerettete Tiere in ihr Verderben zurückliefen, doch nie, dass eine bis dahin halbwegs vernünftig erscheinende Frau sich ins brechende Eis stürzte, vor dem sie gerade bewahrt worden war.
    Sie kniete an der Kante, der Steg war einige Schritte entfernt, aber das Ufer war hier für anlandende flache Boote mit hölzernen Vorsetzen gestärkt, deren größter Teil unter das Eis reichten, und starrte gefährlich weit vorgebeugt auf das Eis. Ja, da war immer noch Eis, wahrscheinlich wäre sie auch ohne die Hilfe der beiden Männer ans Ufer gelangt, aber es hatte Risse, die unter ihrem Gewicht brechen würden, und war von einer steigenden Schicht Wasser bedeckt, die das Gefrorene darunter gläsern durchscheinend machte.
    «Keine Sorge.» Rosina rappelte sich auf, ihr rechtes Knie schmerzte, es fühlte sich steif und geschwollen an. «Ich will mich nicht in die Alster stürzen, ganz gewiss nicht. Ich bin ungemein dankbar für Eure Hilfe, es ist nur …» Plötzlich fröstelnd duckte sie sich tief in die fremd riechende raue Jacke. «Da ist etwas. Ich habe etwas gesehen. Ganz sicher.» Sie verstummte und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf das wässerige Eis.
    «Klar.» Der ältere der beiden Männer war herangetreten, legte sicherheitshalber leicht seine Hand, ein die harte Arbeit mit dem Holz bezeugende Pranke, auf ihre Schulter. «Da ist immer was im Wasser. Ist ja mitten in der Stadt, die Leute hier sind dumm, die achten das Wasser nicht. Die schmeißen alles rein, was sie nicht mehr brauchen.»
    Rosina schüttelte leicht den Kopf. Dann sah sie sich um, entdeckte an einem der Holzstöße eine Leiter und sagte entschieden: «Ich brauche noch einmal Hilfe.»
    Zuerst hatte sie gedacht, der Schreck des krachenden Eises habe ihr eine Vision dessen vorgespiegelt, was nun geschehen würde, was ihr bevorstand. Als sie wieder Luft

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