Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
bekommen und ihr Blick sich geklärt, ihr Herz zu seinem vertrauten Rhythmus zurückgefunden hatte, hatte sie begriffen, dass es keine Vision gewesen war.
Sie hatte ein Gesicht gesehen. Direkt unter dem Eis.
Kapitel 3
Alberte achtete selten darauf, wie laut oder leise eine Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Wozu auch? Madam Hegolt war in diesen Dingen nicht heikel. Nur wenn der Hausherr in der Nähe war, hieß es behutsam sein, er konnte nach einem arbeitsreichen Tag im Kontor leicht mürrisch werden. Aber er ließ sich sowieso von niemandem als dem Hausdiener und den beiden Mädchen mit den gestärkten weißen Schürzen aufwarten. Alberte war das nur recht, sie hatte in Küche, Vorratskeller und Wäschekammer, ihrem ureigensten Reich, genug zu tun, und seine Wertschätzung ihrer Arbeit erkannte sie an den großzügigen Geschenken zu Weihnachten und zu Johanni.
In einem vornehmen Haus hatte die Köchin in den Räumen der Herrschaft eben wenig zu tun. Es sei denn, einer der Gäste verlangte ausdrücklich, ihr ein besonderes Lob für ihre Kunst auszusprechen und selbst ein Trinkgeld zuzustecken. Tatsächlich war sie mehr Wirtschafterin als nur Köchin, dazu wäre der Haushalt dann doch nicht groß genug, wie in den meisten selbst der halbwegs wohlhabenden Häuser. Zu den wöchentlichen Besprechungen der Küchen- und anderen Haushaltsbelange kam Madam Hegolt manchmal zu ihr in das Souterrain hinunter, meistens stieg Alberte zu dem kleinen Damensalon hinauf. Madam trank dann eine Tasse Schokolade und versäumte nie, Alberte aufzutragen, für sich selbst eine zweite mitzubringen. Sie glaubte nicht, dass Monsieur Hegolt davon wusste.
Es wäre ungerecht, zu behaupten, er sei ein kleinlicher oder gar tyrannischer Hausherr, er war nur der Ansicht, ein gut geführtes Haus brauche strikte Regeln – Schokolade am Vormittag zählte er zu den Allüren leichtfertiger adeliger Damen, somit zu den für seine Gattin unpassenden Gewohnheiten. Besonders an gewöhnlichen Wochentagen, erst recht gemeinsam mit der Köchin, worin er sich mit den meisten der hanseatischen Herren einig wissen konnte.
Monsieur Hegolt handelte mit verschiedenen Waren, wie es für alle mittleren und großen Kontore zutraf, am wichtigsten war ihm dabei der Handel mit Holz, das er über seine vielfältigen Kontakte zu günstigen Bedingungen auch aus Übersee bezog. Die Hegolts hatten sich längere Zeit im Ausland aufgehalten, nicht in gesitteten Königreichen wie England oder Dänemark, sondern auf einer Insel in tropischen Gefilden. Deren Name hatte Alberte vergessen, sie war erst mit dem Einzug der Hegolts in das Haus beim Neuweg nahe dem Drillhaus in ihre Dienste getreten. Man sollte meinen, in solch exotische Weltgegenden gereiste Menschen nahmen die Sitten etwas leichter, das Gegenteil schien der Fall zu sein. Vielleicht stimmte, was man von dort hörte, nämlich dass das schwüle Klima, auch die unglaublichen Stürme und Regengüsse, zudem die des Nachts oft zu hörenden unheimlichen Gesänge der Sklaven die Menschen verwirrten und zu Trunk und Sünde verführten, sobald sie sich die geringste Schwäche erlaubten. Also wurden die guten hanseatischen Sitten besonders streng beachtet, egal ob man dort unter Palmen oder hier unter Eichen und Buchen oder in der Rosenlaube saß.
Als umso größeren Beweis seiner Liebe und Fürsorge erkannten es deshalb alle Mitglieder des Hauses an, dass Monsieur Hegolt seiner zum allgemeinen Kummer erkrankten Gattin nun an nahezu jedem Tag selbst eine Tasse Schokolade brachte, auch an Zucker nicht sparte, und zwar von der besten, weißesten Sorte. Dann saß er an ihrem Bett und freute sich an ihrem Genuss. Alle im Haus hätten gerne gewusst, was dabei zwischen den beiden besprochen wurde, denn sosehr man sich bemühte, so fest man das Ohr gegen die Tür drückte, war da nichts zu hören. Das jüngere der Stubenmädchen, eine besonders kecke Person, die es noch weit bringen würde, hatte in der vergangenen Woche einfach die Tür geöffnet, sich errötend entschuldigt und sie gleich wieder geschlossen. Sie hatte genug gesehen und gehört.
Madam lehne gegen einen Berg von Kissen in ihrem Bett und nippe an der Schokolade, hatte Mareike dem in der Küche wartenden Gesinde zugeflüstert, Monsieur lese ihr dazu mit sanfter, kaum wahrnehmbarer Stimme vor. Wohl aus der Bibel, genau habe sie das so schnell nicht erkennen können.
Dieser schöne Beweis von Einigkeit und Liebe einer wahrhaft christlichen Ehe hatte alle innig
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