Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Draußen scheint die Sonne, und ich ersticke, wenn ich weiter wie ein alter fauler Apfel in dieser dumpfen Luft herumliegen muss. Nein, nicht nur einen Spalt. Ganz weit, Alberte, ganz weit auf.»
«Genau, Madam, genau. Das dachte ich längst. Diese wunderbare Frühlingsluft, frisch und klar und doch schon mild.»
Alberte schlug auch die Bettvorhänge so weit zurück als möglich, sie legte ihrer Herrin ein weiches Wolltuch um die Schultern, schüttelte ihre Kissen auf, zog das Laken glatt und richtete alles in zwei Minuten, was an einem Krankenbett zu verrichten ist.
«Ich wollte nur nach Euch sehen, Madam. Wir sollen Euch ja in Ruhe lassen, das mag wohl richtig sein, sicher ist es das. Aber ich dachte, Ihr habt vielleicht einen besonderen Wunsch? Eine Zitronencreme zum Beispiel, die esst Ihr doch so gerne. Oder eine gebratene Wachtel? Es gibt auch wieder Fasan. Oder ein Stück Ochsenzunge? Ganz zart, mit Portwein gesotten. Was immer Ihr wollt, ich kann die Zutaten auftreiben und es zubereiten. Ständig diese Krankenkost – das kann nicht gesund und förderlich sein. Wenigstens ein geschlagenes Ei mit Zucker und Portwein.»
«Du bist ein Schatz, Alberte, ich danke dir. Das klingt sehr verlockend, aber ich habe gar keinen Appetit, und mein Magen zieht leider diese langweilige Krankenkost vor. Sicher in der nächsten Woche, schon heute fühle ich mich wieder viel besser. Wirklich.» Als müsse sie sich selbst Lügen strafen, sank sie ermattet zurück, doch sie lächelte, und ihre Augen waren heute klar und ruhig.
«Ach, Madam, wenn ich doch nur etwas tun könnte.» Albertes Augen füllten sich mit Tränen.
«Schsch, meine Gute», tröstete Ina Hegolt. «Schschsch. Man darf nie die Zuversicht verlieren, das habe ich früh gelernt. Und du kannst etwas tun, achte darauf, dass meine Kinder froh sind und gut essen. Ich sehne mich so danach, sie zu sehen, aber das würde ihnen nur schaden. Ich weiß es ja. Geht es ihnen wirklich gut? Du würdest mich nicht belügen.»
«Ja, Madam, es geht ihnen gut. Sie vermissen Euch schrecklich und sind besorgt. Nicht zu sehr», fügte sie rasch hinzu, «macht Euch keine Sorgen um die drei, Monsieur und wir alle, ja, alle kümmern wir uns gut um sie. Nehmt Ihr nur Eure ganze Kraft zum Gesundwerden.»
«Versprochen», es klang matt, doch die Kranke seufzte in Erleichterung und Zufriedenheit. «Lass die Fenster noch ein wenig geöffnet, Alberte, die Luft ist so süß. Sie belebt mich wie ein Bad. Hörst du das vorwitzige Zwitschern? Ob das Sperlinge sind? Es ist wirklich Frühling geworden. Hoffnungszeit, Alberte. Ist das nicht wunderbar?»
Sie schloss die Augen, immer noch lächelnd, und flüsterte, als könne jemand lauschen: «Einerlei, was sie sagen, komm mich wieder besuchen, wann immer du meinen Aufpassern ein Schnippchen schlagen kannst.»
Es musste an all den Pülverchen und Pastillen liegen, dass Madam Hegolt eine so aufmüpfige Rede führte – vielleicht am Laudanum? Alberte hatte nie auch nur ein Tröpfchen davon eingenommen, es war Teufelszeug, aber man hörte dies und das darüber.
«Verlasst Euch darauf.» Alberte beugte sich plötzlich froh über die Kranke und strich ihr zart über die Hand. «Morgen. Ich finde schon einen …»
«Um Gottes willen! Ist Madam noch nicht krank genug?» Mlle. Meyberg fegte ins Zimmer und schloss ruck, zuck beide Fenster, als gelte es, Beelzebub und Klabautermann zugleich auszusperren. Sie brachte die Kälte von draußen mit herein, auch einen schwachen Duft nach Rosenwasser, was sich für eine Gouvernante eigentlich nicht ziemte.
Alberte hatte das Öffnen der Kammertür überhört, doch sie fuhr weder erschreckt auf, noch trat sie vom Bett zurück. Sie war kein Aschenmädchen oder eine Putzmagd, sie war Köchin, und zwar eine gute, von anderen Häusern umworbene, und hielt doch den Hegolts, genauer gesagt Madam Hegolt, die Treue. Die andere war noch kein halbes Jahr im Haus, nur eine Kinderfrau und Gouvernante von Wer-weiß-woher, um die sich niemand in der Stadt scherte. Was sie leider nicht bescheidener machte.
«Verzeiht, Madam», sagte Mlle. Meyberg im strengen Ton, «ich hatte Anweisung gegeben – ich meine Monsieur hatte mir aufgetragen, Anweisung zu geben, Euch keinesfalls, wirklich keinesfalls zu stören. Wenn Alberte …»
Ina hob abwehrend die Hand, es war eine müde, doch die immer noch gültige Geste der Herrin des Hauses. «Mamsell Alberte hat mich nicht gestört, und sie hat die Fenster geöffnet, weil ich es
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