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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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herausgeputzt, zumal am Vormittag, hatte sie ihn noch nie gesehen.
    «Guten Morgen, Monsieur Klopstock, verzeiht, ich habe Euch nicht gleich bemerkt.»
    «Ja, mein Kind, Ihr wart in Gedanken, ich konnte es Euch ansehen. Ich hoffe, dass Eure Gedanken bei Eurem Gatten waren», sagte er mit diesem Lächeln, das die Hamburger Damen reihenweise seufzend dahinschmelzen ließ, obwohl niemand behaupten konnte, der berühmte Dichter sei ein Adonis, von jugendlich ganz zu schweigen. «Habt Ihr Nachricht von ihm?», fuhr er fort. «Er ist nach Frankreich unterwegs, wie ich gehört habe. Es war doch Frankreich?»
    «Italien», korrigierte Rosina knapp. Sie mochte den Dichter, tatsächlich schätzte sie ihn erheblich mehr als seine berühmten, außerordentlich umfangreichen Werke, aber sie verabscheute es, wenn er sie «mein Kind» nannte, als sei sie keine erwachsene, dazu weit gereiste Frau, sondern ein dummes kleines Ding. «Zu Pferd über die Alpen. Er ist …»
    «Ah, Italien!» Klopstock schloss für einen Moment genießerisch die Augen. « Bella Italia . Rom! Livorno! Neapel! Mailand! Und die Gärten und Wasserfälle von Tivoli. Irgendwann werde ich auch dorthin reisen. Irgendwann.»
    «Ja», sagte Rosina, «Magnus reist nach Italien, allerdings nur bis Venedig. Und nein: Ich habe noch keine Nachricht von ihm. Sicher ist er schon jenseits der Berge, dort, wo die Sonne wirklich wärmt.»
    «Beneidenswert», murmelte Klopstock in plötzlicher Versonnenheit, «wirklich beneidenswert.»
    «Das finde ich auch. Warum denkt Ihr, es erfordere Mut, heute aufs Eis zu gehen?»
    «Wegen der Sonne natürlich. Sie mag in unseren Breiten nur selten genug wärmen, heute reicht es immerhin aus, das Eis brüchig zu machen. Es wird endlich Frühling. Ich kann es schon riechen.»
    Klopstock beschirmte die Augen mit der Hand gegen die Sonne und blinzelte über die Binnenalster. «Wie Ihr seht», sagte er und ließ seine Hand einen weiten Bogen ziehen, «sind nur noch wenige Eisläufer und kein einziger Lastschlitten auf dem See. Wo die Sonne die Straße erreicht», missbilligend blickte er auf seine durchnässten Schuhe hinunter, «laufen wir schon seit Tagen im Matsch. Sehr unangenehm. Madam Winthem hatte wieder einmal recht, ich hätte eine Sänfte nehmen sollen.»
    Das hätte die ganze Stadt verblüfft. Friedrich Gottlieb Klopstock war nicht nur der schwärmerisch verehrte große Dichter des Messias , eines über fast ein Vierteljahrhundert entstandenen, erst vor wenigen Monaten mit den letzten Gesängen abgeschlossenen Epos. In Hamburg wie in Kopenhagen, seinem vorherigen Wohnort, war er auch jenen bekannt, die selbst ihren eigenen Namen weder schreiben noch lesen konnten. Allerdings weniger um der Poesie willen als wegen seiner exzentrischen Leidenschaft für körperliche Ertüchtigungen.
    Dass er lange Spaziergänge unternahm, mochte ja noch angehen, aber im Sommer schwamm er auch alle Tage in der Alster, und seine Künste als Schlittschuhläufer waren immer wieder Stadtgespräch. Zum Zeitvertreib erteilte er Eislaufunterricht, auch Rosina, die diese Kunst schon lange beherrschte, doch zu wenig geübt hatte, war in diesen Genuss gekommen. So hatte sie dem begierig lauschenden Damenkränzchen im Salon der Familie Herrmanns aus erster Hand berichten können, dass es stimme: Monsieur Klopstock deklamiere beim Eislauf mit Vorliebe seine dieses Vergnügen beschreibende und preisende Oden.
    Er tue das jedoch aus sehr gutem Grund, hatte sie das Kichern der Damen unterbrochen, er habe sie in einem Versmaß geschrieben, welches zu den weit ausholenden fließenden Schritten des Laufes auf dem Eis passe. So wie Musik beim Tanz helfe, den Rhythmus und die Bewegungen einzuhalten, hülfen diese Oden beim richtigen Lauf. Obwohl sie zum Bedauern der Damen keine aus dem Gedächtnis deklamieren konnte, stieg die Zahl insbesondere der weiblichen Bewerbungen um Unterricht bei dem verehrten Poeten schlagartig.
    «Seid achtsam», mahnte Klopstock nun. «Habe ich Euch erzählt, wie ich vor Jahren eingebrochen und beinahe ertrunken bin? Nur weil ich in Gesellschaft eines Freundes war, eines Pfarrers zumal, der immer auf göttliche Hilfe hoffen darf, wurde ich gerettet. Aber ich sehe», noch einmal schenkte er ihr eines seiner speziellen Lächeln und wandte sich schon zum Gehen, «Ihr seid eigensinnig wie immer. Also geht aufs Eis, meine Liebe, aber entfernt Euch nicht zu sehr von den anderen Menschen. Und», er drehte sich noch einmal zu ihr um, «wenn Ihr

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