Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Leintuch vom Korb und hob die bis zum Rand gefüllte Steingutschüssel heraus.
«Hasen-Pastete? Ihr lasst Euch nicht lumpen für so’n bisschen Vom-Eis-Ziehen.»
«Ich wäre sehr ungern eingebrochen, glaubt mir, das Knacken und Knirschen des Eises war schon schlimm genug. Euer Name ist Elske?»
«Elske Probst, ja. Warum?»
«Ich heiße Rosina Vinstedt. So spricht es sich besser, findet Ihr nicht? Ihr habt gesagt, ich müsse wissen, wer die Tote in der Alster sei, weil ich sie entdeckt habe. Das trifft nicht zu, und das wisst Ihr auch. Ihr seid gewiss nicht dumm. Nein, bitte», Rosina griff über den Tisch und legte ihr rasch die Hand auf den Arm, «bitte, geht nicht. Ich gestehe ja, ich bin neugierig», erklärte sie hastig und hatte nicht im Mindesten gelogen, «da ich die Ertrunkene nun mal entdeckt habe, möchte ich auch wissen, wer sie war. Ihr wart dort, Mamsell Elske, ich habe Euch gesehen. Ihr seid einer Freundin gefolgt. Nachdem sie die Tote am Ufer gesehen hatte, rannte sie voller Entsetzen fort. Oder war es Angst? Grauen? Ich bin sicher, sie hat die Tote erkannt. Wer war sie?»
Elske hatte die Arme vor der Brust verschränkt, ihr Gesicht glich einer ausdruckslosen Maske. Wer war sie? Die drei kleinen Worte hingen im Raum. Da hob Elske plötzlich die ausgebreiteten Hände und verzog den Mund, fast sah es wie ein Lächeln aus. «Wie kommt Ihr auf die Idee», fragte sie, «diese – Person, diese Frau, die gestern vom Ufer weggelaufen ist, als wär’n die Hunde hinter ihr her, ist eine Freundin? Ich kenne die gar nicht. Ich habe keine Ahnung, wer die ist.»
«Dann seid Ihr einer Fremden nachgelaufen?»
«Gar nicht. Stimmt, ich war dort. Na und? Da waren zahllose Gaffer. ’ne Wasserleiche gibt’s nicht alle Tage zu sehen, und ein bisschen Aufregung und Abwechslung mag jeder. Plötzlich schlug die Glocke von St. Petri, dann gleich die von St. Jakobi, kann auch die Bimmel vom Dom gewesen sein – was weiß ich? –, jedenfalls hab ich gemerkt, wie spät es schon war. Ich bekomme meinen Lohn hier nicht fürs Nichtstun. Also bin ich weggerannt.»
«Zufällig gleichzeitig mit dieser anderen Frau.»
Elske nickte entschieden. «So ist das Leben. Jedenfalls für uns auf dem Borgesch. Zufall oder Gottes Werk – wer weiß das schon?»
Rosina unterdrückte einen Seufzer. Irgendetwas hatte sie falsch gemacht. Da war ein Moment gewesen, in dem diese Frau hinter dem Schanktisch sich geöffnet hatte, wenig nur, wie ein Spalt in einer schweren Tür. Er hatte sich wieder geschlossen. Warum? Nun war auch der sarkastische Ton der ersten Minuten in Elskes Stimme zurückgekehrt und ihre Rede grober geworden. Es war vorbei. Für diesen Moment.
«Ja», murmelte Rosina, «wer kann das schon wissen?» Sie zog einen Zettel aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch. «Ich habe meinen Namen und meine Anschrift aufgeschrieben. Ich wohne am Hafen, nahe der Katharinenkirche in der Mattentwiete, in dem großen Haus direkt gegenüber der Bäckerei, vier Treppen hoch.»
«Ob Ihr’s glaubt oder nicht, Madam, ich kann lesen.» Elske schob den Zettel mit dem Zeigefinger näher. «Allerdings weiß ich nicht, wozu ich wissen soll, wo Ihr wohnt.»
«Ach», sagte Rosina heiter, «so etwas weiß man doch nie. Vielleicht fällt Euch heute Abend oder morgen doch eine Antwort auf meine Frage ein, es wäre schade, wenn Ihr mich dann nicht fändet. Und ich mich nicht erkenntlich zeigen könnte.»
Aus dem hinteren Raum, wohl die Küche, hörte sie ein Geräusch, als sei dort jemand und schleiche herum. Natürlich, in so einer Schänke hielten sich für gewöhnlich mehr Menschen auf als ein oder zwei. Und das Haus war groß genug, um über die Wohnung der Wirtsleute hinaus eine Reihe von Mietzimmern zu bieten. Rosina hätte gerne gewusst, wer hinter der Tür stand. Und lauschte? Wahrscheinlich sah – in diesem Fall: hörte – sie nur Gespenster. Es war an der Zeit, nach Hause zu gehen.
Sie ärgerte sich. Über diese Elske, die eindeutig log, so dreist und zugleich schlau, dass es der Bewunderung würdig war, mehr noch ärgerte sie sich über sich selbst: was für eine dumme Aktion, wie wichtigtuerisch. Da machte sie sich auf den Weg durch das Steintor hinaus in die Vorstadt, um eine Frau zu finden, sie nach einer anderen zu fragen, die wiederum – womöglich – den Namen der Toten kannte. Das war Wagners Aufgabe, oder Pflicht seines Weddeknechtes, Grabbe. Der würde sich schon Respekt zu verschaffen wissen, und sei es mit Hilfe
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