Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Wohnung zugleich als eine Art Kontor fungierte, ergab das Sinn. Wo ein Kontor war oder wo etwas verkauft wurde, gab es auch einen Kassenschrank. Zumindest eine Kassette für das Geld und das Kassenbuch. Sie hätte gerne durch eines der beiden Fenster hineingesehen, doch die waren mit hölzernen Läden verschlossen, und ein seltsam dumpfes Gefühl in ihrem Rücken drängte sie, zu gehen. Und zwar sofort.
Hätte sie es weniger eilig gehabt und noch einmal zurückgeschaut, hätte sie vielleicht bemerkt, dass ihr zwei Augenpaare nachsahen.
Luis wischte mit dem Handrücken über die vom Küchendunst immer wieder beschlagende Scheibe. «Warum hast du sie belogen?», fragte er, mit den Blicken noch der just hinter der Wegbiegung verschwindenden Gestalt im schwarzen Umhang folgend.
«Ach. Hab ich das?»
«Ich denke, schon, ja. Ich hab dich gestern auch gesehen, dich und diese andere Frau. Hast du das vergessen? Ich glaub nicht an einen Zufall. Inzwischen ist es mir eingefallen: Ich hab euch früher schon zusammen gesehen, einmal war sie sogar hier. Vor zwei Wochen etwa. Jedenfalls ging sie gerade weg, als ich aus dem Holzhafen zurückkam. Warum machst du ein Geheimnis aus dieser Frau, dieser Freundin? Das macht erst recht neugierig, weißt du das nicht?»
«Geheimnis. So ein Unsinn, manchmal ergeben sich Sachen eben. Ist doch egal», sie drehte sich zu dem Kessel um, der leise brodelnd über der Feuerstelle hing, nahm einen Holzlöffel und begann in der sämigen Brühe zu rühren, ihre Schultern steif vor Abwehr und Trotz.
Elske Probst schlug sich alleine durchs Leben. Mehr oder weniger. Vor einigen Jahren hatte sie es sattgehabt, als Magd in einem reichen Haus Tag für Tag und von früh bis spät zu sehen, was sie selbst nie haben würde, und sich andere Arbeit gesucht. Ein gefahrvolles Unterfangen, eine schwächere Person als Elske wäre vermutlich unter die Räder gekommen, wobei ein einigermaßen manierlich geführtes Bordell noch die bessere Variante gewesen wäre. Elske hatte sich durchgebissen, bis sie schließlich in der Schänke beim Borgesch ihren Platz fand, was auch daran lag, dass der Wirt den ganzen Tag und die halbe Nacht beim Ofen saß und döste und seiner Frau die Arbeit überließ. Die hatte nichts dagegen und mit Elskes Unterstützung aus einer schmutzigen Kaschemme zwar nicht das respektable Gasthaus gemacht, von dem sie gerne sprach, doch eine reinliche Schänke.
Böse Zungen behaupteten, die Wirtin rühre ihrem Mann ein Schlafpulver in die Morgengrütze (die ihn besser kannten, sprachen vom ersten Krug Bier), aber Elske war bereit zu beschwören, das sei nur böses Geschwätz und habe absolut nichts mit der Wahrheit zu tun. Tatsächlich habe der Wirt vor Jahren ein übles Wechselfieber aus den Mooren im Holsteinischen mitgebracht, woran er immer noch leide. Das habe ihm wohl auch das Hirn vernebelt.
Elske war die rechte Hand der Wirtin geworden, denn als die erstaunt festgestellt hatte, ihre Magd verfüge über das seltene Talent, tadellos zu lesen, zu schreiben, sogar zu rechnen, war Elske bald fast so häufig mit Feder und Tinte beschäftigt wie mit Wischlappen und Bierkrügen. Das verhalf ihr zu einem besseren Auskommen, als sie je auf rechtmäßige Weise zu erreichen geglaubt hatte. Elske stellte sich einen Ofen in ihre bescheidene, bis dahin im Winter eiskalte Kammer, kaufte sich ein erst wenige Jahre altes Federbett und eine ebensolche Waschschüssel samt bauchigem Krug aus solidem, mit Blumen bemaltem Steingut und fand, sie habe das allergrößte Glück.
Luis schlang beide Arme um ihre Taille, seine Lippen folgten der Linie ihres Halses in den Nacken. Er dachte, sie werde sich losmachen und ihn wegschieben, um sich wieder ihren Suppentöpfen oder dem Rechnungsbuch zu widmen, das sie für die Wirtin führte. Sie ließ nie zu, dass Luis sie in der Küche, auf dem Holzplatz oder gar in der Schänke umarmte, küsste oder es auch nur versuchte. Auf dem Borgesch wusste jeder, dass sie ihr Bett mit ihm teilte und ihm Rechte einräumte wie sonst keinem. Hinter verschlossener Tür war sie eine leidenschaftliche Geliebte, sonst spielte sie in seiner Gegenwart gern die spröde Jungfer. Was nicht wirklich gelang, aber es war genug, wenn alle um ihre Liebe – sie sprach nur von einer Liaison – zu Luis wussten, auch wussten, dass es nur eine Liebe auf Zeit war, sie mussten es nicht auch noch sehen. Heute schob sie ihn nicht fort. Sie schmiegte ihren Körper an seinen und lachte gurrend. Dann
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