Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
legte sie den Kopf in den Nacken und sah ihn an.
«Du bist heute neunmalschlau, Luis Sachse», sagte sie mit zärtlichem Spott. «Was heißt schon Geheimnis? Da gibt’s keines. Und seit wann interessieren dich meine Freundinnen? Muss ich eifersüchtig sein? Die gestern vom Ufer weggelaufen ist, ist nicht mal eine Freundin, ich kenne die kaum. Ich glaube, sie heißt Hanne, oder Helma? – Was weiß ich? Wir begegnen uns ab und zu bei den Grünhökern oder den Fleischschrangen auf dem Hopfenmarkt, das ist alles. Als sie so erschreckt wegrannte, dachte ich, es wär gut, wenn sich jemand um sie kümmert.»
«Und das hast du getan.»
«Wollte ich. Sie war aber gleich verschwunden, ich weiß nicht, wohin. Wohl in irgendeine Seitenstraße.»
«Und warum hast du das dieser Madam eben nicht erklärt?»
«Verdammt, Luis!» Nun schob sie ihn doch fort, und zwar mit aus Ärger erwachsenem Nachdruck. «Hast du Fragewasser gesoffen? Das geht dich ebenso wenig an wie diese feine Madam. Aber ich sag’s dir: Weil ich nicht wirklich weiß, was die wissen will, und im Übrigen, du warst doch gestern auch an der Alster, ganz vorne, da hast du alles gesehen. Mit wem tat diese harmlose, angeblich nur ein bisschen neugierige Person da völlig vertraut? Genau! Die kennt den Weddemeister. Ausgerechnet. Von dem hält man sich am besten fern. Wenn du das nicht weißt, musst du noch viel lernen. Und jetzt schnüffelt die hier rum, wo wir nichts, absolut gar nichts mit der Toten zu schaffen haben. Nicht früher, nicht heute, nicht in Zukunft. Punktum. Und jetzt lass mich in Ruhe, ich muss die Suppe rühren. Es riecht schon angebrannt. Verschwinde endlich, dann frage ich auch nicht, warum du hinter der Tür gelauscht hast und nicht in die Gaststube gekommen bist. Schließlich hat sie nach dir gefragt.»
Ohne ihn noch einmal anzusehen, schob sie ein dickes Buchenscheit aufs Feuer und beugte sich über den dampfenden Topf, der groß genug war, ein kleines Schwein zu fassen, hielt den Holzlöffel mit beiden Händen und rührte, als gelte es ihr Leben. Ihr Gesicht war nass von Schweiß, beinahe sah es aus, als weine sie.
Luis kannte Elske gut genug, um zu wissen, wann es besser war zu gehen. So ließ er sie allein. Es war ihm recht, er hatte anderes zu tun.
Später, als Elske die Gäste bedient und wieder verabschiedet hatte, die stets um die Mittagszeit im Eschenkrug einkehrten, dazu einige bessere, die um die derb-deftige, doch für ein solches Gasthaus recht schmackhafte Küche wussten und gerne hier pausierten, wenn ihre Geschäfte sie in die Nähe führten, als sie in der engen Küche stand und Teller, Krüge und Löffel wusch, kehrten ihre Gedanken unerbittlich immer wieder dorthin zurück, von wo sie sie lieber ferngehalten hätte. Aufseufzend rieb sie die Hände an dem groben Sacktuch trocken, das sie um die Hüften gebunden hatte, um ihre Röcke vor dem fettigen Wasser zu schützen, und suchte in ihren Taschen nach dem Zettel mit der Adresse dieser Frau aus der Mattentwiete. Ihren Namen hatte sie vergessen, nur den der Straße erinnerte sie noch. Der Zettel war nicht mehr da, wahrscheinlich war er mit den Gemüseabfällen in die Tonne für das Schweinefutter geraten.
Auch gut, dachte sie halb ärgerlich, halb erleichtert, dann kann ich nicht falsch entscheiden.
Wagner hatte tatsächlich einen Hinweis bekommen, wer die Tote war. Bald nachdem der Stadtphysikus seine Untersuchungen abgeschlossen hatte, während Wagner noch in der Mattentwiete Besuch machte, hatte sich ein Paar im Eimbeck’schen Haus eingefunden, war direkt in das Souterrain marschiert, wo sich der Raum für die auf unnatürliche Weise ums Leben gekommenen Toten befand, und hatten verlangt, den Stadtphysikus zu sprechen. Es gehe um die Tote aus der Alster, könne gut sein, dass sie wüssten, wer die ist. Der Physikus saß schon bei einem Stück Hammelbraten und einem Krug Bier in der oberen Gaststube. Der nah bei dem Theatrum Anatomicum , dem Anatomiesaal, liegende Ratsweinkeller behagte ihm nach solchen Untersuchungen nicht. Er war zutiefst verstimmt, als der Gehilfe im besudelten Hemd vor seinem Tisch stand und mit nervösem Händereiben bat, der Herr Stadtphysikus möge sich in den Keller bemühen, dort warte jemand, der behaupte, die neue Leiche zu kennen. Und weil es doch immer von Vorteil sei, sogar nützlich, wenn man wisse, wer da tot geblieben sei … Dann war er verstummt und hatte ergeben zugesehen, wie der Physikus ungerührt das nächste Stück
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