Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Kunos. Der war trotz fleißigen Geknurrs und Zähnezeigens ein halbwegs friedlicher Geselle, aber er sah aus wie ein pechschwarzer Höllenhund.
Auf dem Weg zur Tür, es waren nur drei Schritte, blieb sie dennoch kurz entschlossen stehen und drehte sich um.
«Weder wisst Ihr, wer die lebende Frau am Ufer, noch, wer die Tote im Eis war», sagte sie und hörte selbst die Schroffheit in ihrer Stimme. «Also wird Euch womöglich nicht interessieren, was ich weiß und Euch trotzdem sagen will. Es schwirren alle möglichen Gerüchte in der Stadt herum, zum Beispiel, dass die Tote aus betrogener Liebe ins Wasser gegangen ist. Das wird ja immer erzählt, wenn man eine noch halbwegs junge Tote aus einem Fluss oder See birgt. In diesem Fall, Mamsell Elske, ist es falsch. Diese ist nicht freiwillig ins Wasser gegangen, auch war es kein Unfall. Das ist gewiss. Irgendjemand hat entschlossen dafür gesorgt, dass sie starb. Sie wurde getötet. Wer immer das getan hat, sollte möglichst schnell gefunden werden. Denkt Ihr nicht auch?»
Rosina erfuhr nicht, was Elske darüber dachte. Ihr Gesicht, ihre Miene hatte sich kaum verändert, vielleicht war es im Dämmer des Raumes nur nicht zu erkennen. Sie starrte Rosina an, starrte tatsächlich durch sie hindurch, dann drehte sie sich abrupt um und verschwand durch die Tür in den hinteren Teil des Hauses. Sie ging nicht weit, Rosina hörte keine Schritte. Auf dem Schanktisch stand noch der Topf mit der Hasen-Pastete zwischen den Kerzenleuchtern und Bierkrügen – der Zettel mit ihrer Adresse fehlte.
Sinnlos zu warten. Vielleicht hatte Wagner auch längst selbst herausgefunden, was ihr nicht gelungen war zu erfahren. Die Sonne verschwand für diesen Tag hinter einer milchig grauen Wolkendecke, die ganze Welt schien plötzlich grau und trübe. Obwohl die Luft sich kalt anfühlte, eisig gar, taute es weiter. Der Holzplatz war eine morastige Wüstenei. Zum Glück lagen entlang des Fahrwegs Bretter, andernfalls wäre jeder, der ohne Pferd und Wagen unterwegs war, bis über die Knöchel im Matsch eingesunken.
Die Männer an der Sägegrube hatten ihre Arbeit beendet oder pausierten, auch sonst war vom Platz nichts und niemand zu hören. Nur von der Straße klangen gedämpft durch die aufgestapelten Hölzer die Geräusche schwer beladener Fuhrwerke, Peitschenknall, harsche Männerstimmen und ganz von ferne das Signalhorn einer nahenden Postkutsche. Unwirklich und befremdlich. Wäre es nicht heller Tag, beinahe unheimlich.
Ein näher kommender Wagen brachte beruhigende Normalität zurück. Der halboffene Einspänner rollte auf dem Hauptweg auf den Eschenkrug zu. Allerdings konnte von Rollen genau genommen keine Rede sein, das vom Schweiß dampfende Pferd zerrte das Gefährt mühsam durch den morastigen Boden. Die beiden Männer auf der Sitzbank unterhielten sich leise, gleichwohl mit einer gewissen Heftigkeit, die auf unterschiedliche Meinungen schließen ließ. Das wäre kein Grund gewesen, sich vor ihnen zu verbergen, wenn Rosina sich rasch hinter einen fast haushohen Stapel von Torfsoden duckte, lag es einzig daran, dass sie den Mann, der die Zügel hielt, erkannt hatte. Er war kein Kutscher, sondern der tadellos gekleidete Besitzer des Gefährts und just der Mann, für den sie in diesen Tagen im allerbesten Licht erscheinen wollte. Und musste.
Ausgerechnet hier traf sie auf Monsieur Hegolt, den neuen Provisor des Waisenhauses. Was sollte er von ihr denken? Nach ihrer ersten Begegnung und dem Anblick des ramponierten Tobias musste er sie nicht auch noch in diesem schäbigen Umhang, den schlammbespritzten Röcken und ohne schickliche Begleitung in dieser übel beleumundeten Gegend sehen.
Als die Kutsche vorbeigefahren und außer Sicht war, lief sie dennoch die wenigen Schritte zu dem, was die seltsame Schankmagd als Kontor bezeichnet hatte. Es war nur ein Schuppen, immerhin recht stabil und aus gutem Holz, über die Tür war ein Brett genagelt, in das mit glühendem Eisen der Schriftzug eingebrannt war. Die linke Hälfte des Gebäudes barg einen Stall mit Raum für mindestens ein halbes Dutzend Pferde. Er war leer, gleichwohl verrieten das zertrampelte Stroh und der dampfende Misthaufen an der Seite des Schuppens, dass darin in etwa eine solche Zahl an Zugtieren untergebracht war.
Der abgeteilte kleinere Teil war verschlossen. Ungewöhnlich für einen Schuppen, selbst wenn dieser – wie hatte die Schankmagd gesagt? Pieter, ja –, wenn also dieser Pieter hier auch wohnte. Falls die
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