Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Was haste gehört?»
Der Schläfer vom Kachelofen hatte sich aufgerappelt und war von Rosina unbemerkt herangetreten. Ein bisschen zu nah – er verströmte genau den penetranten, säuerlich-muffigen Geruch nach Schmutz und Armut, den sie hier erwartet hatte, in seinem graustoppeligen Kinn klebte ein Speichelfaden. Rosina schob sich einige Zoll zurück, gleichwohl bot sich hier eine Gelegenheit, die sie nicht verschenken durfte.
«Ja, die Tote in der Alster», sagte sie, bevor ihm die Frau, die er Elske genannt hatte, antworten konnte. Obwohl sie nicht aussah, als wolle sie das tun. Der Anblick des Alten hatte ihr Gesicht noch grimmiger werden lassen. Besser gesagt: unmutig und resigniert. Als sei sie für den Rest ihres Lebens dazu verurteilt, mit diesem menschlichen Wrack Bett und Tisch zu teilen. Ohne Aussicht auf ein Entkommen. Was wirklich ein schweres Los sein musste. «Weiß man denn schon, wer sie ist?», fragte Rosina harmlos. «Gestern …»
«Wenn Ihr es nicht wisst», versetzte Elske, «wie sollen wir es wissen? Hier draußen vor den Toren? Wenn Ihr die Frau seid, die Pieter und Luis vom Eis gezogen haben, habt Ihr die Tote doch entdeckt. Oder? Dann müsstet Ihr zuerst wissen, wer die ist.»
«Warum? Ein Name stand leider nicht auf ihrer Stirn.»
«Aber unsre Elske», meldete sich wieder der übelriechende Mann zu Wort und blinzelte Rosina aus geröteten Augen kurzsichtig an, «die ist ’ne Schlaue, immer schon, die weiß alles.»
«Blödsinn, Wilhelm, keiner weiß alles, und ich ganz bestimmt nicht.» Elske reichte ihm den Krug, den sie rasch für ihn gefüllt und mit einem tüchtigen Schuss Branntwein versetzt hatte. «Setz dich wieder auf die Ofenbank und trink dein Bier. Sonst kommen die bösen Träume wieder. Das möchtest du doch nicht.»
«Träume?», murmelte der Alte erschreckt. «Keine Träume.»
Er umklammerte den Bierkrug mit beiden Händen und schlurfte mit leichtem Humpeln und brav wie ein alter Hund zurück zu seinem warmen Platz.
Die beiden Frauen sahen ihm nach, beide stirnrunzelnd, doch mit sehr verschiedenen Gedanken.
«Euer Ehemann?», fragte Rosina, als er sich wieder in seine Ecke gedrückt hatte und langsam, Schluck für Schluck, den Krug zu leeren begann.
Elskes Augen wurden zu Schlitzen, ihre Lippen schmal – und plötzlich lachte sie leise und spöttisch auf.
«Gut gekontert», sagte sie. «Wilhelm ist der Wirt. Aber hört nicht auf ihn, er hat seine Sinne kaum mehr beisammen, und manchmal holt ihn das Grauen ein. Fragt mich nicht, welches. Vielleicht ist es nur eins, das in diesem Meer von Branntwein lauert, das er in seinem Leben schon leer getrunken hat. Er ist nicht so alt, wie er aussieht, er war ’n paar Jahre in der Welt unterwegs, auch in preußischen Diensten im Krieg», sie zuckte müde mit den Achseln, «das Gemetzel muss doch jedem schwarze Träume bringen.»
Rosina hatte in ihrem Wanderleben mit der Becker’schen Komödiantengesellschaft zahllose Schankmägde erlebt, sie konnte sich an keine erinnern, die wortgewandt war wie diese. Vielleicht hatte ihr Leben schon bessere Plätze als ein Gasthaus in der Vorstadt nahe den Schweinekoben geboten, sie war sicher nicht mehr so jung, wie es auf den ersten Blick im dämmerigen Licht erschienen war.
«Seht mir meine Misslaunigkeit nach, wenn Ihr könnt», fuhr Elske fort, «heute ist einer dieser Tage, die man gerne streichen möchte. Ihr sucht Luis und Pieter. Pieter Hillmer ist der Aufseher hier auf dem Platz, er verwaltet auch die Holzverkäufe für den Platzherrn vom Zimmerer-Amt. Und Luis», wieder hoben sich ihre Schultern, «der hilft aus, wo er gerade gebraucht wird. Er ist nicht von hier, und ich glaube, er verschwindet auch, sobald der Fluss wieder frei ist.»
Sie sprach hastig. Ein bisschen zu hastig, fand Rosina.
«Wo finde ich die beiden?»
«Eigentlich hier. Ich meine, meistens arbeiten sie hier auf dem Platz. Obwohl die Arbeit im Winter unregelmäßig ist. Besonders in diesem Winter. Solange die Elbe zugefroren ist, kommen natürlich keine Flöße», erläuterte sie auf Rosinas fragenden Blick, «kein neues Holz. Nur mit Fuhrwerken, was hier in der Gegend geschlagen wird. Es ist ungewiss, wann die beiden wieder hier sind. Kann Stunden dauern. Am besten, Ihr geht nach Hause. Ich richte Euren Dank aus. Und», sie zeigte auf den Korb, den Rosina auf den Schanktisch gestellt hatte, «falls Ihr was für die beiden hierlassen wollt.»
«O ja, natürlich. Die Hasen-Pastete.» Rosina nahm das
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