Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
rasch an die Schummerigkeit gewöhnt, sie sah keine Gäste, nur leere Hocker, auch die lange Bank an der seitlichen Wand und die Plätze am Kachelofen waren unbesetzt. Ein Kachelofen – was für eine erstaunliche, geradezu luxuriöse Bequemlichkeit für ein so bescheidenes Gasthaus. Der Wirt schien kürzlich zu Geld gekommen, die schlichten tannengrün glasierten Kacheln schimmerten noch makellos, als sei der Ofen erst vor halbwegs kurzer Zeit aufgemauert worden.
Nun entdeckte Rosina doch eine Gestalt. Ganz hinten in der Ecke, wie eingeklemmt zwischen der Wand und den wärmenden Kacheln, schlief ein dürrer Mann auf der Ofenbank. Sein Kinn war auf die Brust gesunken, sein Kopf fast kahl, die alte Joppe von undefinierbarer Farbe bekleckert.
Er schlief geräuschlos, was Rosina für einen Moment verführte, darüber nachzudenken, ob er tatsächlich nur schlafe. Als sich aus einem hinteren Raum klappernde Holzschuhschritte näherten, drehte er sich aufschnaufend zur Seite – ein mattes, gleichwohl eindeutiges Lebenszeichen.
«Und? Was wollt Ihr?» Die Frau, die aus dem hinteren Teil des Hauses in die Schankstube getreten war, brachte den appetitlichen Geruch von Zwiebeln, gebratenem Speck und stark gekümmeltem Kohl mit. Ihr Gesicht war von der Küchenhitze gerötet, ihre Bluse aus verwaschenem blauem Kattun geflickt wie die meiste Arbeitskleidung, aber ziemlich sauber. Ihr Blick verriet so viel Neugier wie Misstrauen, nur eine Strähne, die sich aus dem zum dicken Zopf geflochtenen rötlich blonden Haar gelöst hatte, milderte die Strenge ihres Ausdrucks. Eine unbekannte Frau verirrte sich selten in den Eschenkrug , erst recht allein, noch seltener eine, der man auf den ersten Blick ansah, dass sie weder Schwielen an den Händen hatte noch für Geld zu haben war, wobei Letzteres natürlich immer unsicher blieb. Vielen Dirnen sah man ihre Profession sofort an, andere wiederum mochte man für Pfarrersfrauen halten. Dann gab es noch die, die sich nur dann und wann verkauften, zum Beispiel, wenn sie den Mietzins nicht zahlen oder ihre Kinder nicht satt bekommen konnten. Genau genommen waren die in der Überzahl, und die Frau hinter dem Schanktisch hatte sich abgewöhnt, Menschen nach dem ersten Blick zu beurteilen, insbesondere Frauen.
«Wenn Ihr Holz kaufen wollt – geht rechts am Haus vorbei. Dann noch zwanzig Schritt, da ist das Kontor. Und falls Ihr Euren Gatten sucht», fügte sie mit maliziösem Lächeln hinzu, «kann ich nicht helfen. Probiert’s am besten auch dort.»
Rosina war unentschieden, ob sie ärgerlich oder amüsiert sein sollte. Diese Frau war keine, die sich die Butter vom Brot nehmen ließ, das war sicher. Und noch etwas war sicher: Sie war eine der beiden Frauen, die sie suchte. Nicht die, die beim Anblick der Toten an der Alster so entsetzt gewesen war, sondern die andere, die ihr nachgeeilt war. Rosina hatte sie nicht auf den ersten Blick erkannt, dazu hatte sie die beiden Frauen in der Menge zu flüchtig gesehen, sondern erst jetzt, als sie sich vorbeugte, um den ohnedies sauberen Schanktisch abzuwischen, als mattes Licht aus dem vorderen Fenster ihr Haar und Gesicht erhellte.
So einfach war eine Suche schon lange nicht gewesen, dachte sie und ertappte sich bei dem Gedanken, dass es so simpel doch nicht sein könne.
Sie wolle kein Holz kaufen, erklärte sie knapp. Ihren Ehemann fand sie überflüssig zu erwähnen, Magnus ging diese Wirtin oder Schankmagd nicht das Geringste an. «Ich suche zwei Männer, die hier auf dem Borgesch arbeiten. Sie haben mir gestern geholfen, und ich habe versäumt, mich zu bedanken. Das möchte ich nachholen.» Ein nur scheinbar flüchtiger, tatsächlich scharf prüfender Blick traf sie, doch die wischenden Hände, von harter Arbeit breit, kräftig und gerötet, sausten ohne Unterbrechung über die Holzplatte. «Vielleicht habt Ihr davon gehört?», fuhr Rosina fort. «Ich bin gestern beim Eislaufen auf der Alster fast eingebrochen. Die beiden haben es vom Holzplatz beim Drillhaus gesehen und mich den letzten Meter aufs Ufer gezogen. Sonst – ja, sonst wäre ich eingebrochen und womöglich unter die berstenden Schollen geraten.»
Endlich hörte die Frau hinter dem Tresen mit der überflüssigen Wischerei auf. «Natürlich hab ich gehört, was gestern an der Alster passiert ist.»
«’ne Leiche ha’m se da gefunden», verkündete eine heiser meckernde Stimme triumphierend hinter Rosina, «’ne tote Weibsperson. Zu retten gab’s da nix mehr. Oder, Elske?
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