Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
auseinander. Wenn die Zeit des Sonnenuntergangs nahte, kam es vor, dass sie sich einen Spaß daraus machten, besonders langsam zu prüfen, denn nach Sonnenuntergang wurden die Tore geschlossen, danach kostete die Durchfahrt eine saftige Gebühr.
    Rosina hatte gehört, der Holzplatz werde von freilaufenden Hunden bewacht, und hoffte, das gelte nur für die Nächte. Sie ging durch das weit offene Tor und blieb ratlos stehen. Der Weg fächerte sich in drei Abzweige auf, alle von Wagenrädern zerfurcht. Das Areal war weit, und obwohl es hieß, das Holz werde allmählich knapp, es sei höchste Zeit, dass zumindest das Eis die an den Duckdalben festgemachten Flöße freigebe, schien ihr der Platz noch voller Stapel von schon geschnittenem Holz und aufgeschichteter Stämme. Hunde sah sie zum Glück nicht. Da waren nur Männer, die zwei Fuhrwerke beluden, von einem anderen wurden mächtige Buchen- und Eichenstämme gehievt.
    Zwei Frauen kamen ihr entgegen, gebeugt und in armseliger Kleidung. Eine trug ein Reisigbündel auf dem Rücken, die andere zerrte eine mit Torf und armlangen Stücken dünner Unterholzstämme beladene Handkarre hinter sich her. Sie gingen vorbei, ohne aufzusehen.
    Und nun? Es war wenig verlockend, kreuz und quer über den aufgewühlten Platz zu stapfen und suchend die Holzstöße zu umrunden, bis sie die Gesichter erkannte oder sonst jemand fand, den sie fragen konnte. Sie hörte ein Sägegeräusch, dann eine fluchende Männerstimme und wieder das Sägen. Irgendwo musste sie anfangen, also umrundete sie dem Geräusch folgend einige Holzstapel – und wäre fast in einer Sägegrube gelandet.
    Der Fluch, der ihr von dem über der Grube errichteten Gerüst entgegengebrüllt wurde, war deftig.
    «Entschuldigung», rief Rosina. «Entschuldigung, ich wollte nicht stören, ich suche jemanden. Ich …»
    «Hier gibt’s nix zu suchen», kam die unwirsche Antwort von oben, «und du bleibst unten, verdammt!», brüllte der Mann im gleichen Atemzug in die Grube hinunter, aus der sich ein von Spänen zottiger blonder Schopf über den Rand nach oben schob. «Gibt nix zu sehen, nur ’ne verirrte Dame. Hier wird weiter gesägt, die Tage sind noch kurz genug.» Damit packte er wieder den Griff der mannshohen, in die Grube hinunterreichenden Säge. Gleich darauf fraß sich das mächtige Sägeblatt in gleichmäßigem Auf und Ab weiter durch den Baumstamm, der auf einem über der Grube befestigten Gestell lag.
    «Halt», brüllte er plötzlich – vielleicht brauchte er zum Denken ein wenig länger als andere – und hielt die Säge fest. «Ob Ihr einen sucht oder Holz braucht, Madam, ist mir gleich. Da hinten», er schob seinen Hut in den Nacken und zeigte vage nach Osten, «das Dach da, das ist der Eschenhof . Die Schänke», rief er ungeduldig, «da fragt, was Ihr wollt. Die Weiber schwatzen den ganzen Tag.»
    Damit beugte er sich wieder über seinen Sägegriff und stieß einen Pfiff aus, worauf sich die Säge sofort wieder hob und senkte, nun jämmerlich kreischend, sie musste dringend geschärft werden.
    Rosina hatte kein Dach gesehen, das war nur von der Höhe des Sägegerüstes zu erkennen, doch als sie in die Richtung ging, die ihr der Zimmerer gewiesen hatte, traf sie nach wenigen Schritten auf einen Bohlenweg, der sie direkt zum Eschenhof führte.
    Dies war einer jener Momente, in denen sie zu bedenken vergaß, dass sie nun Madam Vinstedt war und nicht mehr die Wanderkomödiantin Rosina Hardenstein, eine Vergesslichkeit, die in diesem Fall (wie zuvor in manchem anderen) von Vorteil war. Eine Madam Vinstedt hätte kaum allein eine solche Schänke betreten – eine Rosina Hardenstein kümmerte das nicht im Geringsten.

Kapitel 5
    Rosina hatte eine dieser so düsteren wie schmutzigen Kaschemmen erwartet, die sich überall in der Stadt fanden, zumeist im stets feuchten Souterrain oder in den verwinkelten Altstadtgassen. Sie hatte sich gegen diese Melange aus Gerüchen nach schalem Bier, feuchten Wänden, Kloake und ungewaschenen Kleidern gewappnet – den Ausdünstungen der Armut. So wurde der Eschenkrug zur Überraschung. Wohl war der Schankraum des alten Gasthofes düster – die Fenster unter dem gegen den Wind tief gezogenen Dach waren von bescheidener Größe –, doch die vom Alter dunklen Bohlen waren gründlich gefegt, der Spucknapf geleert und die Tische gescheuert. Auf dem Schanktisch standen eine ganze Reihe von sauberen Bierkrügen und einige Kerzenhalter aus geputztem Zinn.
    Rosinas Augen hatten sich

Weitere Kostenlose Bücher