Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
unmöglich ist.»
Keinesfalls unmöglich, widersprach Wagner, die anfängliche Unsicherheit und das Unbehagen waren verschwunden, immer wenn er das Gefühl hatte, man wolle ihn loswerden, man wolle seinen Fragen ausweichen, rappelte sich in ihm der Spürhund auf, der nur noch auf eigene Befehle hörte. «Die Leiche liegt noch im Eimbeck’schen Haus », erklärte er kühl, «heute Morgen waren zwei Zeugen dort und haben in ihr eine Dienstmagd aus Eurem Haus erkannt, Wanda oder Hanna, das war das Einzige, worin sie nicht einig waren.»
Madam Paulis Gesicht zeigte keine Regung, aber sie sank gegen die Lehne ihres Stuhls zurück, ihre Hände schlossen sich fest um die Armstützen. Johannes Pauli stand unbewegt in der Mitte der Diele, die Hände auf dem Rücken verschränkt, die Unterlippe vorgeschoben. «Zeugen?», sagte er. «Wer sind diese Zeugen? Aus unserem Haus können sie nicht sein, dann wüssten wir davon.»
Hier hatten die beiden Alten bestimmt keine Belohnung zu erwarten, dachte Wagner, höchstens Ärger.
«Zeugen eben», erklärte er streng, «wer sie sind, tut nichts zur Sache, vorerst. Da sie keine Verwandten sind, auch keine Mitglieder Eures Hauses, wie Ihr richtig vermutet, ist es nötig, dass jemand, der sie wirklich gut kannte, die Identität bestätigt, also jemand aus Eurem Haus. Ja, das ist unbedingt nötig, und zwar rasch! Am besten sofort.»
Wieder zog Wagner sein großes blaues Tuch aus der Rocktasche und wischte sich über die Stirn. Diesmal war sie wirklich ein bisschen feucht. Dabei hatte es sich gut angefühlt, vor diesem hochmütigen Paar als Autorität aufzutreten, sehr gut sogar.
«Ihr müsst mich nicht selbst begleiten», er bemühte sich, seinem Ton den Anstrich von Generosität zu geben, «wenn Ihr mir keine Verwandten nennen könnt, kann eines Eurer Mädchen oder Euer Kutscher im Eimbeck’schen Haus die traurige Pflicht erfüllen, ja, diese sehr traurige Pflicht. Doch zuerst», er holte einige zerknitterte Zettel und einen kurzen Bleistift aus den Tiefen seiner ausgebeulten Rocktaschen und sah Monsieur, dann Madam Pauli auffordernd an, «zuerst habe ich nun einige Fragen.»
Madam Paulis Einwand, was immer er fragen wolle, mache doch nur Sinn, wenn die Tote endgültig als die arme Wanda erkannt sei, ignorierte Wagner. Für ihn war längst klar, wer dort in der Souterrainkälte des Eimbeck’schen Hauses lag. Er hoffte, nicht Monsieur Pauli, sondern eine der Dienstbotinnen werde ihn später begleiten, um die Leiche zu begutachten. Eine Ohnmacht war nicht zu befürchten, wer für die Küche Hühnern und Fasanen den Hals umdrehen musste, wurde nicht so schnell schwach. Aber alles, was die Dame und der Herr des Hauses Pauli für sich behielten – und das schien Wagner einiges zu sein –, würde er aus einem Zimmermädchen oder einer Küchenmagd leicht herauslocken. Erst recht, wenn der Anblick der Leiche sie doch tüchtig erschreckte.
Allmählich begann er sich in die Sache zu verbeißen, die Angelegenheit fing an, ihm Spaß zu machen. Wenn er Letzteres auch niemals zugegeben hätte, denn die Arbeit eines Weddemeisters war viel zu ernsthaft, um Spaß zu machen. Ganz besonders, wenn es um Mord ging.
Mittwoch, 24. März
Alberte lauschte angestrengt ins Treppenhaus. Sie hörte nur Georgines leiernde Stimme und nickte zufrieden. Die Gouvernante war noch bei den Mädchen und fragte das Wochenpensum ab. Georgine war immer vor Felice dran, es würde also noch ein wenig dauern. Das arme Kind, es lernte so schwer auswendig, darin war ihr Felice haushoch überlegen. Sie war die Ältere, sicher, aber vielleicht war Gott doch gerecht. Wenn er das Kind schon mit untüchtigen Beinen geschlagen hatte, hatte er es wenigstens mit einem wachen lernbegierigen Geist ausgestattet.
Ob das ein Glück oder nur ein weiteres Hindernis bedeutete, würde man sehen. Gelehrte Frauen hatten schlechte Chancen bei der Suche nach einem Ehemann, aber eine, die nicht laufen konnte, musste gar nicht erst suchen. Selbst mit einer goldenen Mitgift würde sie keine Chance haben. Sie konnte sich ohne Hilfe nur wenige schleppende Schritte fortbewegen, für mehr brauchte sie jemanden, der sie trug oder fuhr. Das versprach keine guten Aussichten auf Mutterschaft, und viele verstanden ein solches Leiden als Strafe Gottes. Vielleicht gab es ihn trotzdem, diesen klugen, liebevollen … Es war vertrackt. Irgendwann, so hoffte Alberte, würden die Zeiten anders werden und auch eine solche Frau Liebe und Glück finden
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