Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
ihre Augen, eben noch matt, brannten dunkel, ihre Wangen und Lippen röteten sich.
«Natürlich, Madam, natürlich.» Alberte streichelte beruhigend die Hände der Kranken. «Sorgt Euch nicht, wir alle geben auf die Kinder acht, und bald könnt Ihr das wieder selbst. Dann … schüttelt nicht den Kopf. Erinnert Ihr Euch an die Frau des Goldschmieds bei der Börse? Jetzt ist mir doch der Name entfallen. Egal, jedenfalls war sie noch schlimmer dran als Ihr, weit schlimmer. Ganze drei Wochen ohne Besinnung, und nun? Auf dem letzten Maskenball hat sie keinen Tanz ausgelassen. Man sorgt sich allgemein um Euch, ja, das tut man. Monsieur Pauli war hier und hat Genesungswünsche gebracht, auch von Madam Pauli, ja. Und er sprach von einer neuen Arznei, aus Frankreich, glaube ich, oder von den französischen Kolonien. Ich hab’s in der Diele gehört.»
Ina Hegolt schüttelte unwillig den Kopf. Auf ihrer Stirn stand wieder Schweiß, ihr hager gewordenes Gesicht war wieder bleich wie zuvor, aus ihrem rechten Augenwinkel rann eine Träne und versickerte im Leinen ihrer Kissen.
«Hör mir zu», flüsterte sie atemlos und bedeutete Alberte, näher zu kommen. Als die sich hinunterbeugte, nahm sie leicht einen seltsamen Geruch wahr. Die Kranke war schwach oder furchtbar müde, ihre Zunge ging nur schwer und träge. «Hör mir zu», raunte sie, «wir haben jetzt nur wenig Zeit … du musst …» Ein heftiger Hustenanfall unterbrach sie, ihr dünner Körper bäumte sich mit jedem Hustenstoß auf. «Mademande … wieder hier», flüsterte sie endlich. «Die Kinder. Felice, vor allem Felice. Du musst … du musst … Mademandae …»
«Alberte! Wie oft habe ich gesagt, hat Monsieur gesagt, man soll unsere verehrte Madam in Ruhe lassen?»
Verdammt, diese aufdringliche Meyberg. Sie war schneller zurück, als Alberte gedacht hatte. Hätte sie das dumme Soufflee doch zusammenfallen lassen, anstatt zu warten, bis es fertig und perfekt war. Hätte sie doch gewusst, dass heute einer der schlechten Tage war, oder wenigstens daran gedacht. Das würde ihr nun nicht mehr passieren, von nun an würde sie auf jede noch so kurze Möglichkeit lauern, sich ins Krankenzimmer zu schleichen.
« Was muss ich, Madam?», flüsterte Alberte eindringlich, von dieser Gans ließ sie sich nicht so einfach vertreiben. « Was soll ich tun?»
Ina Hegolt sah sie nur noch beschwörend an, und ihre Lippen formten etwas, das Alberte als «Madam» und dann etwas mit einem langen E las. Bedeutete das den Namen, den sie gerade genannt hatte? Es konnte auch etwas ganz anderes bedeuten.
«Wer?», flüsterte sie hastig. «Von welcher Familie? Und wo?»
Ina Hegolt schloss erschöpft die Augen, ihre Hand, gerade noch etwas zeigend erhoben, flatterte müde auf das Bett zurück. Einem Vögelchen mit gebrochenem Flügel gleich. Da umfasste Mlle. Meyberg mit festem Griff Albertes Arm und zwang sie einen Schritt zurück. «Willst du schuld sein, wenn es unserer lieben verehrten Madam schlechter geht?»
«Spielt Euch nur nicht so auf», zischte Alberte und rieb ihren schmerzenden Unterarm. «Und für Euch immer noch Mamsell Alberte! Merkt Euch das. Was glaubt Ihr eigentlich, wer Ihr seid!?»
Eine ganze Tirade an Gemeinheiten drängte über ihre Lippen, es wäre ihr ein inniges Vergnügen gewesen, sie gegen diese dumme Gans loszulassen, die es mit frommen Blicken und schleimigem Geschwätz verstanden hatte, Monsieur Hegolt für sich einzunehmen. Allein das leise Seufzen vom Bett der Kranken ließ sie mit einem wütenden Schnaufer schweigen.
Dafür erfreute sie sich an der Vorstellung, dem eitlen Fräulein eine tüchtige Portion Wunderbaumabsud ins Essen zu rühren. Sollte sie sich doch auf dem Abtritt in Krämpfen winden. Überhaupt war das keine schlechte Idee, dann hätte sie, Alberte, sogar für einige Stunden freie Bahn. Wirklich, ganz und gar keine schlechte Idee. Andererseits würde sie womöglich ständig nach Tee oder einem Wärmestein verlangen, nein, die Idee war doch nicht gut, sie musste sich etwas anderes einfallen lassen, etwas, das sie ungestört sein ließ. Eigentlich reichte es, wenn dafür gesorgt war, dass die Gouvernante mit den Mädchen an die frische Luft ging. Und wenn nicht – dann fiel ihr schon etwas anderes ein.
Bis Alberte ihre Küche im Souterrain erreichte, hatte sie einen Entschluss gefasst. Weder gehörte es zu ihren Aufgaben, noch ziemte es sich für eine Köchin, aber es musste sein. Sonst war niemand da, sich darum zu kümmern.
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