Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
besten Fall ein Haus, in dem sie ihren Körper feilbieten kann, um sich und ihr Kind zu ernähren. Aber was ist daran besser als der Tod?» Sie erhob sich mit Heftigkeit und ging einige Schritte in der Diele auf und ab. «Ihr seht, Weddemeister», sagte sie dann mit ironischem Lächeln, «ich habe mich doch geärgert. Ich hatte Hoffnung in sie gesetzt, sie hätte es leicht zur Wirtschafterin in einem guten Haus bringen können. Ich mochte sie, wie alle im Haus, ja, wirklich alle, und hatte nicht gedacht, dass sie so dumm ist.»
«Wer, meine Liebe, ist ‹so dumm›?»
Schon beim Stichwort Venedig war Wagner schlagartig eingefallen, was er mit dem Namen Pauli verband. Magnus Vinstedt, Rosinas Ehemann, war im Auftrag des Seidenhändlers Pauli vor einigen Wochen nach Venedig aufgebrochen, eine eilige Reise, von deren Grund wenig bekannt war. Geheimnistuerei, hatte er gedacht, Kaufleute nehmen sich und ihre Geschäfte viel zu wichtig.
Niemand anderer als Monsieur Pauli konnte dieser elegante Mann in dem mattgrünen Seidenrock über einer in passenden Farben fein gestreiften Weste und der schwarzen Kniehose aus mattem Satin sein, der sich formvollendet über die Hand seiner Gattin beugte. Er stand ihr in Schönheit kaum nach, die noch festen Züge mit der hohen Stirn zeigten eine markante Männlichkeit, doch fehlte diese Kantigkeit, die ein Gesicht hart macht, die geschwungenen Lippen, das tiefbraune, an den Schläfen silbrig melierte Haar voll genug, um zumindest bei Alltagsgeschäften auf die formelle Perücke verzichten zu können. Er war weniger schlank als seine Gattin, doch die Fülle seines Körpers ging nicht über die Anmutung von männlicher Kräftigkeit hinaus.
Noch nicht, dachte Wagner mit diesem Anflug von Bosheit, den kleine dicke Männer leicht gegenüber den schlanken und hoch gewachsenen empfinden.
«Es geht Madam Hegolt gar nicht gut», erklärte er seiner Frau rasch und mit bedauernd gesenkter Stimme, «wirklich gar nicht gut.» Sie nickte nur, dann fragte er wieder im launigen Ton, worum es sich beim Besuch der Wedde handle.
«Der Weddemeister – du kennst ihn vielleicht? – ist wegen Wanda hier», erklärte Madam Pauli. «Er möchte erfahren, ob wir eines unserer Mädchen vermissen. Ich habe ihm erklärt, dass Wanda vor einigen Wochen dumm genug war, bei Nacht und Nebel mit – nun, eben zu verschwinden. Ich bin sicher», diese drei kleinen Worte betonte sie besonders deutlich, «wirklich ganz sicher, sie ist inzwischen längst in Venedig.»
Johannes Pauli musterte Wagner aufmerksam und durchaus wohlwollend wie ein exotisches Insekt.
«Der Weddemeister Wagner, aha. Nein, meine Liebe», fuhr er, ohne den Blick von ihm abzuwenden, fort, «ich hatte noch nicht das Vergnügen, natürlich habe ich von ihm gehört. Ein verdienstvoller Mann.» Er strich nachdenklich mit der sorgfältig manikürten Rechten über sein Kinn und lächelte verbindlich. «Du hättest ihn in unseren Salon bitten sollen, Melitta. Aber mir scheint, Eure Frage ist schon geklärt, Weddemeister. Wenn Ihr nach Wanda sucht – warum auch immer –, können wir nicht helfen. Wie meine Frau sagt, hat sie uns auf wahrhaft dumme, wohl die dümmste Weise verlassen. Sie ist mit einem Mann durchgebrannt – kann man das so sagen, meine Liebe?», wandte er sich flüchtig an seine Frau. «Ja, ich denke, das kann man. Mit einem Kerl, dessen Ruf auch nicht der beste ist, obwohl sie das damals noch nicht wissen konnte. Selbst wir begannen es erst zu ahnen. Das muss man ihr zugutehalten. Weitere Auskunft können wir leider nicht geben.»
Als Pauli erschienen war, hatte Wagner sich erhoben, so wie es sich gehörte, nun setzte er sich wieder. Irgendetwas lief hier zu glatt. Zugleich zu undurchsichtig, Theater eben. Man wollte ihn rasch los sein und nichts mit unbekannten Wasserleichen zu tun haben, das war das Einzige, was eindeutig war. Allerdings auch nicht erstaunlich, denn wer wollte das schon? Trotzdem, ein bisschen mehr Neugier hätte in einem solchen Fall auch der strengste und besterzogene Bürger gezeigt. Madam Pauli mochte die verschwundene Dienstmagd für dumm halten, ihr Gatte, dieser feine Herr Seidenhändler, hielt offenbar ihn für dumm. Bevor Wagner fragen konnte, was nahelag und er unbedingt wissen musste, nämlich wer dieser «Kerl» mit dem schlechten Ruf war, ergriff Madam Pauli wieder das Wort.
«Der Weddemeister vermutet, die Tote, die gestern in der Alster gefunden wurde, sei Wanda. Ich habe ihm schon gesagt, dass das
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