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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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anderen, aber einer der Buchhändler, die dort ihre Stände hatten, hatte einen kleinen Kohleofen und nichts dagegen, wenn sie sich ein bisschen aufwärmte. Danach hatte sie es noch bei der Kunstblumenmanufaktur am Hafen versucht, dort hatte sie früher schon ausgeholfen, wenn besonders viele Pakete zu packen oder auszutragen waren. Madam Joyeux hatte den Kopf geschüttelt und verstohlen missbilligend auf Jannes schmuddelige raue Hände gesehen. Jetzt sei keine Saison, für eine zusätzliche Tagelöhnerin gebe es nichts zu tun.
    Dann, endlich, hatte sie sich auf den Weg zu Wilhelmine gemacht. Sie wusste selbst nicht genau, warum sie nicht gleich am Morgen zu ihr gegangen war. Womöglich, weil oft etwas erst zur Wirklichkeit wurde, wenn man darüber sprach.
    Der Tee war nur noch lauwarm und schmeckte muffig, wie es bei den letzten Vorräten hin und wieder vorkommt. Dann schwiegen die beiden Frauen im Hinterzimmer des Kleinwarenladens in der Grünstraße. Der enge Raum, zugleich Warenmagazin und Wohnstube, wurde durch das kleine Fenster nur notdürftig erhellt. In zwei Regalen lagerten ordentlich sortiert Schachteln und Beutel mit Stoffresten, Garnen, Bändern und Posamenten in verschiedensten Materialien und Farben, als besondere Kostbarkeit sogar aus feiner Lyoner Seide, in anderen Fächern dünne Ballen von zumeist einfachen Stoffen.
    Das Schmuckstück des Raumes war eine hölzerne Bank mit geschwungenen, immer noch stabilen Beinen und geschnitzter Rückenlehne, an der Wand darüber hing ein gerahmtes Stickmustertuch. Es bezeugte weniger Phantasie als Akkuratesse und so die Gewichtung der Talente der Mieterin dieser Räume.
    Die Stille lag plötzlich bleiern im Raum. Janne hätte gerne das Fenster geöffnet, doch das schätzte Wilhelmine nicht. Der Hof hinter dem Fenster mündete in einen weiteren, der zu einer Gerberei gehörte, die war nur klein und erzeugte wenig Leder, der Gestank war trotzdem übel, selbst in den kalten Monaten. So saßen die beiden Frauen bewegungslos, wie auf einem Bild, bis Wilhelmine sich über die Schachtel auf dem Tisch beugte, in der akkurat sortiert weiße und bunte Garne lagen. Sie entschied sich für einen blassroten Faden, griff wieder nach ihrem Stickrahmen, noch in Gedanken und ohne ernste Absicht, ihre Arbeit fortzusetzen.
    «Erzähl mir nochmal genau, was du gesehen hast», sagte sie, während sie die Nadel ins Licht hielt und den Faden durch das Öhr schob. «Aber zuerst: Wieso warst du am Vormittag überhaupt an der Alster? Ich dachte, du arbeitest jetzt bei Hartung. Warum warst du nicht dort?»
    «Wenn’s dich auch überhaupt nichts angeht, wo ich vormittags bin und was ich tu, Hartung gehn die Vorräte aus. Weil schon so lange keine Schiffe mehr einlaufen, ist sein Tabaklager fast leer, dann gibt’s auch keine Arbeit für mich. Nächste Woche vielleicht, hat er gesagt. Nächste Woche kann ich wiederkommen.» So bekümmert Janne auch sein mochte, es bedurfte nur einer unbequemen Frage, und schon waren ihre Lebensgeister geweckt, besonders ihr Widerstandsgeist. «Ich wollte auf dem Holzplatz nur einen Korb Torf kaufen. Manchmal, wenn der Aufseher gute Laune hat, macht er mir einen besonderen Preis, er ist ein alter lahmer Kerl, aber er weiß, was es wert ist, wenn er mal was Hübsches zu sehen bekommt. Zu sehen! , Wilhelmine. Guck nicht gleich wie ’ne fromme Stiftsdame. Zu sehen, mehr nicht. Falls du’s vergessen hast, das ist billig für einen satten Preisnachlass und eine warme Stube.»
    «Stimmt, fast hätte ich’s vergessen.» Wilhelmine nickte und stach mit der Nadel durch den feinen Stoff. «Aber nur fast. Glaub mir, nur fast.»
    «Dann vergiss es nur nicht ganz», fuhr Janne halbwegs besänftigt fort. «Ich wollte also Torf kaufen. Da waren viele Leute an der Alster, zuerst hab ich mir aber gar nichts gedacht, zuerst hab ich auch nichts gesehen. Irgendeine Frau, keine Ahnung, wer die war, hat gesagt, die Soldaten ziehen da eine aus dem Wasser. ‹Wasser?›, hab ich gesagt. ‹Die Alster ist doch zugefror’n.› – ‹Aber das Eis schmilzt schon›, hat die Frau gesagt, ‹und ’ne Dame auf Schlittschuhen hat was entdeckt, da haben sie die Soldaten geholt, die hacken jetzt das Eis auf und holen sie raus.› So war’s auch. Als es so weit war, da hab ich den Rock gesehen, ich hab gleich an Wanda gedacht, aber nein, hab ich mir gesagt, das kann ja nicht sein. Und dann waren da die Haare, so lang und blond, wer hat die sonst? Und dann so nah bei dem Haus der

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