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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Beschränkung auf vier Strophen gebeten. Was die Lehrmutter enttäuschte, sie hatte viel Mühe darauf verwandt, die Mädchen (bei dem größeren Teil war es gelungen) zu Ehren der hoffentlich spendablen Dame alle fünfzehn Strophen auswendig lernen zu lassen.
    Augusta fand, sie habe genug gesehen und gehört, umso mehr, als der Ökonom und seine Gattin sie zwischen den Besuchen bei den Jungen und den Mädchen auch durch die Back- und die Waschstube geführt hatten, den Winkel genannten bescheideneren Raum, in dem beizeiten Schuster und Schneider ihre Arbeit versahen. Sie hatten sie auch zu einem Blick in die drei Schlafsäle genötigt, schließlich hatte Madam Faber dafür gesorgt, dass die Decken heute besonders akkurat gefaltet und der Boden besonders gründlich gefegt worden war. Auf den Besuch der Krankenstube wurde verzichtet, Augusta fand es unpassend, Molly den gefährlichen Krankheitsdämpfen, die dort zweifellos in der Luft hingen, auszusetzen, schließlich würde sie nach diesem Besuch gleich in die Herrmanns’sche Küche zurückkehren. Außerdem fühlte sie sich für das Mädchen verantwortlich.
    Augusta hätte nun gerne eine Sänfte kommen und sich nach Hause bringen lassen. Der Vormittag war ihr lang erschienen, sie war müde, und ihre Füße schmerzten, sie hatte schon eine freundliche Ausrede parat, um das von Madam Faber avisierte zweite Frühstück zu umgehen, leider hatte sie keine Chance.
    Als Madam Faber nach beendetem Rundgang so ehrerbietig wie eifrig zu Tisch bat, kam Molly Augusta rasch zuvor und erklärte, eine Erfrischung sei genau das, was Madam Kjellerup sich nun wünsche. Ihr um Verzeihung heischender, geradezu beschwörender Blick ließ Augusta gnädig zustimmen. Genau genommen wäre es auch höchst unfreundlich, Mühe und Ehrgeiz der Faberin mit einer Absage zu missachten. Aber spätestens jetzt wollte Augusta endlich wissen, was Molly hier suchte. Die junge Mamsell würde ihr Rede und Antwort stehen müssen. Augustas gute Laune war schlagartig wiederhergestellt. Die Aussicht auf eine gute Geschichte, sei sie auch abstrus, ließ sie sogar der zuvor als lästig empfundenen Mahlzeit fröhlich entgegensehen.
    Dann würde sie ihre Rolle eben noch ein bisschen länger spielen, diese Rolle der wohlhabenden Matrone, der man schmeicheln musste. So nahm sie huldvoll lächelnd den Arm, den der Ökonom ihr mit geneigtem Kopf reichte, und schritt gemessen zu Tisch, Molly und die strahlende, gleichwohl vor Nervosität trippelnde Madam Faber im Gefolge.

    Weddemeister Wagner stand mitten im kleinen Dragonerstall-Theater und sah fröhlich grinsend zu Rosina hinauf, was selten geschah. Er legte die kurzen dicken Finger zusammen, zweimal, dreimal, zu einem verhaltenen Applaus.
    «Bravo», rief er, «bravo. Ich hab’s gewusst! Auf Dauer haltet Ihr das nicht aus, ein Leben so ganz ohne Bühne. Wann kommen sie an?»
    «Ankommen? Wer?»
    «Wer? Die Becker’schen natürlich. Jean, Helena, Titus und all die anderen. Muto nicht zu vergessen.»
    «Ach, Wagner.» Rosina ließ sich auf den vorderen Bühnenrand sinken, stützte links und rechts die Arme auf, ließ die Beine baumeln und kreuzte die Füße. Diesmal verkniff Wagner sich ein Lächeln. Sie wusste es nicht, aber kaum war sie in dem alten vertrauten Komödienhaus, vergaß sie, auf den Staub und auf ihre Kleider zu achten, auch darauf, ob ihre Knöchel schicklich bedeckt waren. «Ich habe keine Ahnung, wo sie sind. Ich fürchte, sie sind mir doch gram, weil ich sie verlassen und mich für Magnus und die Sesshaftigkeit entschieden habe. Sie schreiben nicht, und ich weiß keine Adresse, an die ich meine Briefe schicken kann. Vielleicht haben sie einen der Orte gefunden, in dem es in der Fastenzeit kein öffentliches Spielverbot gibt. Wie habt Ihr mich überhaupt hier gefunden?», wechselte sie rasch das Thema. «Hat Pauline Euch hergeschickt?»
    Wagner hätte lieber noch ein bisschen über das Theater gesprochen; er hätte gerne gewusst, was Rosina hier tat, warum sie die seit Monaten unbenutzte Theaterbude inspizierte, wenn sie nicht ihre alte Komödiantengesellschaft erwartete.
    «Heute Morgen wurde noch eine Tote gefunden», begann er, «in einem der Gänge, die vom Berckhof abzweigen, von dieser Gasse hinter St. Jakobi. Sie hat dort gewohnt, nicht direkt, wo sie gefunden wurde, ein paar Abzweigungen weiter.» Eigentlich war es zu kalt, um hier herumzusitzen, doch der lange Weg hatte ihn erhitzt, so zog er eine der Bänke heran und ließ sich,

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