Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
das tun sie wirklich.»
«Einige eignen sich besser für die Spinnerei, oh, es sind fleißige Bienchen darunter», wagte sich Waisenmutter Faber mit einem eigenen Beitrag hinter dem Rücken ihres Gatten hervor, «das kann ich wohl sagen, wirklich fleißige Bienchen mit geschickten Fingerchen. Da denke ich dann wieder, der Herr ist so gerecht: Wem er wenig Geist gibt, dem gibt er fleißige Hände.»
Von irgendwoher aus dem Parterre erscholl ein Schrei, dann ein kurzes zorniges Gebrüll, eilige Füße trappelten, eine Tür rummste ins Schloss, noch ein gepresster Aufschrei, dann war es wieder still.
«Du meine Güte», murmelte Augusta und sah den Ökonomen fragend an.
«Knaben», erklärte Faber säuerlich lächelnd. «Mutwillige junge Burschen, ja, unser guter Steding muss noch lernen, für Stille zu sorgen. Manchmal ist es ein hartes Stück Arbeit, sie im Zaum zu halten, wie bei jungen Pferden, wenn Ihr den Vergleich erlaubt. Zunächst verweigern viele das Zaumzeug, aber nach und nach, im Laufe der Zeit, bleibt ihnen gar nichts anderes, dann gehen sie brav im Geschirr. Ja, hier herrscht von jeher gute Zucht. Ich möchte sagen, bessere, als viele Kinder in ihren Familien erfahren. Bedenkt nur, welche Brut in den verderbten Gängen wenige Schritte von hier heranwächst und sogar gedeiht – da muss man sich um das Wohl der Stadt und seiner braven Bürger sorgen, das muss man wirklich. Hier jedoch …»
Der Rest seiner Worte versickerte in einem plötzlichen Hüsteln. Seine Frau hatte die unbewegte Miene Augustas bemerkt und ihrem Mann sicherheitshalber am Ärmel gezupft – bei diesen betuchten Damen wusste man heutzutage nie, auf welche schwärmerischen Ideen und Vorstellungen sie kommen mochten.
«Die Arbeit unserer Lehrer und Erzieher», schloss Faber noch seine Rede, «zu denen ich mich auch rechnen darf, mich und auch Madam Faber, denn wir alle arbeiten mit an dem großen Werk, gewiss, diese Arbeit ist aufreibend, sie erfordert alle unsere Kräfte und viele Gebete, aber sie ist Gott gefällig. Tag für Tag, bis in die Nacht. Jahr um Jahr.»
Molly entfuhr ein nervöses Kichern. Sie war solche Reden nicht gewöhnt, höchstens von Predigten, allerdings hatte sie nie eine gehört, die so selbstgefällig klang. Augusta war nachsichtiger, letztlich sprach Faber aus, wie es war.
«Wie viele Kinder habt Ihr zu» – «züchtigen» hätte sie fast gesagt –, «zu betreuen und erziehen?»
«Zu viele, Madam Kjellerup, wie immer zu viele für unsere bescheidenen Mittel. Zurzeit sind es fast achthundert, weit mehr als die Hälfte leben außerhalb in Koststellen, müssen aber von uns in den Akten geführt und mit Kostgeld versorgt werden. In dieses Haus passen selbst mit Mühe und entschiedenstem Zusammenrücken nicht mehr als dreihundert Kinder. Es wären noch mehr zu betreuen, hätte Gott nicht im vergangenen Jahr achtzig unserer Kindlein zu sich genommen. Ich weiß», fügte er hastig hinzu, «es klingt nach vielen, der Senior der Bürgermeister, unser hochweiser Patron und Schutzherr hat das schon angemerkt. Aber nur, weil seine Magnifizenz vergessen haben, pardon, so ist es, er muss vergessen haben, dass es nicht mehr sind, als von sieben- oder achthundert Kindern in der Stadt sterben. Ich darf sogar sagen, in manchen Jahren eher weniger. Wir achten auf gutes Essen, nicht zu viel, das ist, wie jeder weiß, für diese Kinder unbekömmlich, aber auch nicht zu wenig. Und auf Reinlichkeit, Madam, alle zwei Wochen wird sogar gebadet, gegen das Ungeziefer hilft nur baden, das ist die Vorschrift, alle zwei Wochen! Obwohl jetzt, im Winter … Neuerdings heißt es ja, Reinlichkeit sei allgemein der Gesundheit förderlich. Natürlich wäre es einfacher, müssten nicht zumeist zwei, bei den Kleinen oft drei Kinder ein Bett teilen. Aber unsere Kranken haben eine Extrastube, sie werden ausgezeichnet versorgt. Wir dürfen sogar den Wundarzt holen, und er kommt auch, das tut er wirklich. Unverzüglich, sobald er seine anderen Kranken versorgt hat. Aber so ist es nun einmal, Madam, Menschen sind sterblich, auch, ich möchte sogar sagen: besonders kleine.»
«Ich weiß, Monsieur Faber», hatte Augusta da gesagt, mehr nicht. Der Ökonom hatte verdutzt geguckt und sie erleichtert weitergeführt, in den Klassen- und Speisesaal der Mädchen.
Die hatten nun ausgesungen, zum Abschluss das von Augusta wegen seiner Heiterkeit allseits und immer wieder geliebte «Geh aus, mein Herz, und suche Freud», allerdings hatte sie um
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