Die Schwestern von Sherwood: Roman
Mantels und reichte ihm den Brief. Ich habe dir geschrieben.
Überrascht schaute er sie an. Er öffnete den Umschlag und überflog die Zeilen. Ungläubig las er, was dort stand. Dann blickte er sie an und schüttelte entschieden den Kopf. Ehe sie sichs versah, hatte er den Brief in mehrere Teile zerrissen und in den Kamin zu dem aufgeschichteten Holz geworfen.
Seine Reaktion machte ihr Angst. Ihre Hände fuhren durch die Luft. Verstehst du nicht? Es geht nicht. Es gibt keine Zukunft für uns. Sie spürte, wie ihr von Neuem die Tränen in die Augen traten, und fühlte sich, als würde jemand langsam ein Messer in ihr Inneres stechen.
Ohne ihren Widerstand zu beachten, zog er sie wieder in seine Arme. Er lächelte sanft, als wollte er nicht verstehen, und wischte ihr behutsam eine Träne aus dem Gesicht. Doch, das wird es, Amalia. Es wird eine Zukunft geben. Wir werden heiraten …
Fassungslos starrte sie ihn an.
76
L ady Hampton befand sich im ehemaligen Arbeitszimmer ihres Mannes und erledigte ihre Korrespondenz, als ihr Sohn hereinkam.
»Hättest du einen Moment Zeit für mich? Ich muss mit dir reden.«
Sie legte den Füller zur Seite und nickte. »Sicher, Edward.«
Er nahm ihr gegenüber auf einem der zierlichen Rokokostühle Platz und suchte nach den richtigen Worten. Er hatte sich alles genauestens überlegt und fühlte sich seitdem wie befreit, doch er wusste, dass seine Mutter bei allem die schwierigste Hürde darstellen würde.
»Es geht um den Nachmittag bei den Sherwoods.«
Sie verzog den Mund. »Ja, etwas eigenartig, nicht wahr? Nun, was soll man von diesen Leuten auch erwarten? Immerhin Cathleen scheint mir angesichts dieser Eltern äußerst wohlgeraten«, setzte sie pflichtschuldig hinzu.
»Es geht um ihre Schwester, um Amalia.«
Seine Mutter blickte ihn verdutzt an. »Dieses arme taube Ding? Das sich wie eine Irre aufgeführt hat? Mein Gott, ich weiß nicht einmal, ob man es wagen kann, sie bei den Hochzeitsfeierlichkeiten zu dulden.« Sie stieß ein mitleidiges Seufzen aus. »Was für ein Jammer. Ich entsinne mich, dass ich sie als kleines Mädchen einmal gesehen habe. Sie wirkte so vielversprechend! Ich hatte sie über die Jahre ganz vergessen, obwohl ich wusste, dass Cathleen Sherwood noch eine Schwester haben muss.« Sie schüttelte nachdenklich den Kopf.
Edward schwieg, denn er hatte sich inzwischen ebenfalls erinnert, dass er Amalia bereits als Kind einmal begegnet war. Schon damals hatte sie ihn beeindruckt. Es war auf einem der Sommerfeste gewesen. Als er das Gemälde in der Bibliothek betrachtete und Amalia dann so unerwartet vor ihm stand, hatte er die Szene plötzlich wieder vor sich gesehen.
»Nun, was ist mit ihr? Warum willst du über sie sprechen?«, fragte seine Mutter.
Er räusperte sich. »Möchtest du vielleicht einen Drink, bevor ich es dir erkläre? Einen Gin oder Cognac?«
Sie schüttelte den Kopf und blickte ihn scharf an. »Nein!«
»Es gibt einen Grund, warum sich Amalia so seltsam verhalten hat. Wir kannten uns schon vorher …«
Der Satz schwebte einen Moment lang zwischen ihnen im Raum, bevor sie zu begreifen schien und doch nicht begriff.
»Mein Gott, Edward!«, stieß sie entsetzt hervor. »Gibt es denn nichts, vor dem du haltmachst? Cathleen weiß es hoffentlich nicht?«, setzte sie besorgt hinzu.
Er musterte den Wappenring an seiner Hand, bevor er den Kopf hob. »Du verstehst nicht. Sie ist nicht irgendeine Affäre, sie ist die Frau meines Lebens. Ich liebe sie! Bis zu diesem Nachmittag wusste ich nicht, dass sie die Schwester von Cathleen ist. Sie hat mir nie ihren Namen verraten. Hätte ich es gewusst …« Er blickte seine Mutter entschlossen an. »Ich kann Cathleen nicht heiraten!«
Schon vor diesem Tag, bevor Amalia so unerwartet dort in der Bibliothek aufgetaucht war, hatte er das im Grunde gewusst. Je intensiver und tiefer seine Beziehung zu Amalia wurde, desto mehr war ihm bewusst geworden, welch ein Fehler die Hochzeit sein würde. Sie würde Cathleen und ihn gleichermaßen ins Unglück stürzen. Doch da er geglaubt hatte, Amalia stamme aus einfachen Verhältnissen, hatte er sich den Gedanken an eine Verbindung mit ihr von Anfang an verboten, weil er den Verpflichtungen gegenüber seiner Familie nachkommen musste. Nun aber war alles anders. Es erschien Edward wie ein Geschenk. Er konnte die Frau heiraten, die er liebte. Sie war taub, ja, aber es störte ihn nicht, denn sie war intelligent, gebildet und besaß Charme. Es war ihm
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