Die Schwestern von Sherwood: Roman
stattgefunden. Deshalb reagieren die Tennysons vermutlich so empfindlich darauf.«
Melinda nickte nachdenklich. »Henry Tennyson ist ein Neffe des Earls of Hampton, oder?«
Amy nickte. »Ja, der Earl of Hampton hatte zwei Schwestern – Rebecca und Emily Hampton. Emily Hampton hat Lord Barrington geheiratet und wurde Lady Barrington, hat aber keine Kinder bekommen. Rebecca Hampton, die ältere der beiden Schwestern, ist nach dem Krieg gestorben. Genauso wie ihr Ehemann, Richard Tennyson. Die beiden haben zwei erwachsene Kinder hinterlassen – Henry und Charlotte Tennyson. Sie leben heute auf Hampton, zusammen mit ihrer alten Tante, Lady Barrington – und sind die letzten Erben«, gab sie bereitwillig Auskunft.
Die vielen Namen schwirrten durch Melindas Kopf, und sie versuchte sich im Geiste einen Stammbaum aufzuzeichnen, um die nicht ganz einfachen Verflechtungen der Familie nachvollziehen zu können. Schließlich bedankte sie sich bei Amy und beschloss zu zahlen. In dem Pub wurde es langsam voll.
Es war gerade erst sieben, doch draußen war es bereits dunkel. Mit zügigen Schritten machte Melinda sich auf den Weg zurück. Sie hatte ungefähr die Hälfte des Weges zum Postbridge Inn zurückgelegt, als sie ein Geräusch und Schritte hinter sich zu vernehmen glaubte. Sie drehte sich um, doch es war nichts zu sehen, und sie ging weiter. Im selben Augenblick nahm sie nur noch wahr, wie sich von der Seite eine maskierte Gestalt auf sie stürzte. Entsetzt schrie sie auf, doch eine Hand, die sich schnell auf ihren Mund presste, erstickte jeden Laut. Melinda versuchte sich voller Angst zu wehren, doch ein Schlag traf sie im Gesicht, und sie stürzte zu Boden. Die Hand drückte sich noch immer fest auf ihren Mund und ihre Nase. Ein weiterer Hieb ging auf sie nieder. Panik ergriff sie. Sie fürchtete zu ersticken und wehrte sich mit aller Kraft, doch ihr Angreifer war stärker, und Melinda merkte voller Entsetzen, dass ihr schwindlig wurde und ihr die Sinne zu schwinden drohten.
Von weit entfernt war das Geräusch quietschender Reifen zu hören und die Rufe einer Männerstimme. Plötzlich wurde sie abrupt losgelassen. Schritte hallten auf der Straße wider. Sie bemühte sich, zu atmen und sich darauf zu konzentrieren, bei Bewusstsein zu bleiben.
Die Gestalt eines Mannes beugte sich besorgt zu ihr herunter, und zwei kräftige Arme halfen ihr, sich aufzurichten.
»Melinda? Mein Gott, ist alles in Ordnung?«
Es war George Clifford. Vor Erleichterung liefen ihr die Tränen über die Wangen.
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S ie saß neben ihm im Auto, und er tupfte ihr mit einem Tuch vorsichtig das Blut von der Wange. Darunter zeigte sich eine Schürfwunde. Der Angreifer schien einen Ring getragen zu haben.
»Bist du sicher, dass du nicht zum Arzt willst?«
Melinda schüttelte den Kopf. »Es geht schon. Das Schlimmste war der Schreck«, erwiderte sie. Es war die Wahrheit – ihre Schulter und das Gesicht schmerzten ein wenig, doch sonst schien alles in Ordnung, und auch ihre Panik ebbte langsam wieder ab. George Cliffords Gegenwart übte eine beruhigende Wirkung auf sie aus. Beklommen fragte sie sich, was geschehen wäre, wenn er nicht aufgetaucht wäre.
»Ich kann mich nicht erinnern, wann es hier jemals einen solchen Vorfall gegeben hat. Und du hast den Mann nicht erkannt?« Er war aufrichtig besorgt.
»Nein, er war maskiert, und es ging alles so schnell …« Melinda registrierte, dass George Clifford sie mit einem Mal vertraulich beim Vornamen nannte.
George blickte sie kopfschüttelnd an. »Ich war eigentlich auf dem Weg zum Postbridge Inn, um dich zu fragen, ob du mit mir essen gehen willst, als ich den Mann am Straßenrand gesehen habe. Ich hatte bereits am Nachmittag angerufen, aber Mrs Benson sagte mir, dass du draußen unterwegs seist …«
Dunkel entsann sich Melinda jetzt, dass die Wirtin einen zweiten Anruf erwähnt hatte. In der Aufregung um den Einbruch in ihr Zimmer hatte sie vergessen, sie danach zu fragen.
George wischte mit dem Tuch noch einmal vorsichtig über ihre Wange. Sein Gesicht war in der Dunkelheit nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt, und Melinda wurde sich in der Enge des Wagens auf einmal der körperlichen Nähe zwischen ihnen bewusst. Der herbe Duft seines Rasierwassers lag in der Luft. Ihre Augen trafen sich.
»Es scheint zu einer unliebsamen Gewohnheit zu werden, dass ich dich retten muss!«, sagte er rau.
Sie lächelte schwach. »Nun ja, ich erwähnte es noch nicht, aber das ist meine Masche,
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