Die Schwestern von Sherwood: Roman
Sollte sie nur. Es war Amalia gleichgültig.
Sie zog im Laufen den Umhang enger um ihre Schultern. Etwas in ihr fühlte sich wie tot an. Es regnete noch immer, und sie beschloss, den Weg am Fluss entlang zurück zu nehmen.
Das Wasser war gestiegen, und sie musste auf dem rutschigen Untergrund auf ihre Schritte achtgeben. Der sanfte Fluss hatte sich innerhalb kürzester Zeit zu einem wilden Strom entwickelt, und sie starrte in das aufgewühlte Wasser, während sie sich fragte, wie sie diesen Schmerz, den sie mit niemandem teilen konnte, nur jemals ertragen sollte.
74
S iehst du nun, was sie anrichten kann?« Elisabeth hatte sich mit wutentbranntem Gesicht zu ihrem Mann gewandt. Ihr Besuch war vor einer knappen halben Stunde aufgebrochen, und sie konnte ihrem Zorn endlich freien Lauf lassen.
Voller Scham und Demütigung dachte sie an die Reaktion der Hamptons.
»Mein Gott, ist sie nur taub oder auch geistig behindert?«, hatte Edwards Schwester Rebecca pikiert hervorgestoßen.
Cathleen hatte sie mit einem scharfen Blick zurechtgewiesen. »Aber nein. Amalia hat bestimmt gerade eine schreckliche Unpässlichkeit überfallen, anders kann ich es mir auch nicht erklären«, hatte sie versucht, die Situation zu retten.
»Die Ärmste«, hatte die jüngere Schwester, Emily Hampton, gesagt. Derweil stand Edward Hampton mit leichenblassem Gesicht im Raum, ohne ein Wort zu sagen. Wahrscheinlich bereute er seinen Antrag inzwischen zutiefst. Elisabeth war nur froh, dass John bereits die Papiere unterzeichnet hatte, dass er am Tag der Hochzeit für die finanziellen Verpflichtungen der Hamptons aufkommen würde.
Die Stimmung war während des gesamten Treffens beim Tee angespannt geblieben, und alle waren gleichermaßen froh, als der Nachmittag schließlich ein Ende fand. Und das war allein Amalias Schuld!
»Ich verstehe immer noch nicht, was sie hatte. So hat sie sich doch nie verhalten«, sagte John. Er wirkte hilflos – wie immer, wenn es um sie ging.
»Ich habe auch keine Ahnung«, erwiderte Elisabeth in Rage. »Aber egal, was es war, es entschuldigt ihr Verhalten nicht. Sie hat wie eine Schwachsinnige gewirkt, und manchmal denke ich, dass sie das auch ist. Ich habe vorher ausdrücklich erklärt, wie wichtig dieser Nachmittag ist …« Sie brach ab, weil erneut die Wut in ihr hochstieg. Sie musste an die Unterredung mit Amalia denken und wie kühl diese reagiert hatte. Plötzlich kam ihr der unschöne Gedanke, dass ihre Tochter sich vielleicht vorsätzlich so verhalten hatte. Gönnte sie ihrer Schwester nicht die gute Partie? Wer konnte schon wissen, was in ihrem Kopf vorging?
Im Grunde hatte Elisabeth es geahnt. Sie hatten diesen Nachmittag über Tage vorbereitet. Die Hamptons sollten sehen, dass man sich ihrer nicht zu schämen brauchte – auch wenn sie keinen alten Namen trugen und nicht adlig waren. Wenn es nach Elisabeth gegangen wäre, dann wäre Amalia bei diesem Anlass deshalb überhaupt nicht in Erscheinung getreten. Man hätte einfach behauptet, sie sei krank oder verreist.
Aber nicht nur Cathleen, sondern auch ihr Mann hatten darauf bestanden, dass sie mit dabei sein sollte. »Sie ist unsere Tochter und gehört zur Familie. Deshalb wird sie den Hamptons selbstverständlich vorgestellt«, hatte John mit Entschiedenheit erklärt. Elisabeth kannte ihn gut genug, um zu wissen, wann sie ihm widersprechen konnte, und dies war nicht der Moment dazu. Sie hatte nachgegeben. Unglücklicherweise, wie sich jetzt herausstellte!
»Nun, zumindest wirst du mir jetzt sicher zustimmen, dass heute die erste und letzte Gelegenheit war, bei der Amalia den Hamptons begegnet ist«, stieß sie hervor.
»Sollte man nicht erst einmal in Erfahrung bringen, was wirklich mit ihr los war?«
»Versuch es«, erwiderte Elisabeth spitz.
»Ich werde mit Cathleen sprechen. Mit ihr redet Amalia doch sonst auch immer.«
Elisabeth schwieg.
Doch selbst Cathleen schien nicht erklären zu können, warum Amalia derart heftig reagiert hatte.
»Ich weiß es nicht, sie hat gesagt, dass sie Magenschmerzen gehabt habe und ihr schlecht geworden sei. Sie musste sich übergeben. Deshalb ist sie hinausgerannt«, berichtete sie.
»Aber genau das hast du doch auch zu den Hamptons gesagt?«, fragte John Sherwood.
Cathleen nickte. »Ja, weil ich nach Rebeccas Bemerkung das Gefühl hatte, schnell etwas sagen zu müssen, aber ich wusste nicht, dass es ihr tatsächlich so schlecht ging.«
»Braucht sie einen Arzt?«, erkundigte er sich.
Cathleen
Weitere Kostenlose Bücher