Die Schwestern von Sherwood: Roman
Männer zu verführen.«
Seine Mundwinkel hoben sich kaum wahrnehmbar. »Tatsächlich?«
Er beugte sich zu ihr. Seine Lippen streiften sanft ihren Mund. Und plötzlich küsste er sie. Die zarte Berührung stand in verwirrendem Kontrast zu der Festigkeit, mit der er den Arm um sie legte und sie an sich zog. Ihr Gefühlsleben drohte für einen Augenblick von dem Wechsel ihrer Emotionen überwältigt zu werden, den sie in der letzten halben Stunde durchlaufen hatte.
Ihr Herz raste – diesmal jedoch nicht vor Panik, und sie stellte überrascht fest, dass sie sich seit dem Moment, als er sie vom Bahnhof abgeholt hatte, danach gesehnt hatte, von ihm geküsst zu werden.
»Das wollte ich schon lange tun«, murmelte er, als sie sich voneinander lösten.
Sie lächelte leicht.
Und dann küsste er sie noch einmal.
Als sie schließlich beide wieder zu Atem kamen, strich er ihr durchs Haar. Sein Blick blieb an ihrer Wunde hängen.
»Wir sollten vielleicht zur Polizei gehen«, sagte er sanft.
Melinda, die noch ganz unter dem Eindruck des Kusses stand, tastete vorsichtig nach der Verletzung auf ihrer Wange. »Ich denke nicht, dass das viel bringen würde. Ich habe ohnehin meine Vermutung, wer es war.«
Sein Gesichtsausdruck hätte nicht überraschter wirken können.
»Du hast eine Vermutung? Wer?«
»Henry Tennyson«, gab sie zur Antwort.
»Tennyson? Wie kommst du denn darauf?« Clifford wirkte plötzlich wie erstarrt.
»Er hat mir schon gestern gedroht. Und heute wurde in mein Zimmer im Postbridge Inn eingebrochen …«
Georges Miene hatte sich bei ihren Worten zunehmend verfinstert. »Das musst du mir genauer erzählen.« Er musterte sie kurz. »Ich fürchte, in deinem jetzigen Zustand kann ich dich schlecht zum Essen ausführen. Das würde zu völlig falschen Rückschlüssen auf meine Person führen und meine Karriere als Anwalt vermutlich ruinieren.« Er grinste. »Wenn du einverstanden bist, fahren wir zu mir. Ich gebe dir etwas Eis für deine Wunde, und wir essen dort«, schlug er vor. »Dabei kannst du mir erzählen, wie du es geschafft hast, in dieser friedlichen Gegend hier die Verbrecherseelen zum Leben zu erwecken«, setzte er trocken hinzu.
81
M elinda war davon ausgegangen, dass die Haushälterin für sie kochen würde, doch sie hatte frei, und zu ihrem Erstaunen begab George Clifford sich selbst in die Küche.
»Keine Angst, das Roastbeef ist vorbereitet, und den Rest bekomme ich hin«, sagte er, als er ihren überraschten Blick bemerkte.
»Du kannst kochen?« Sie musste sich ein Lächeln verkneifen. George Clifford war mit seinen breiten Schultern und der tiefen, rauen Stimme eine ungewöhnlich männliche Erscheinung – sie hätte ihn sich überall vorstellen können, aber ganz sicher nicht in der Küche.
Er nickte, ohne die Miene zu verziehen. »Die einfachen Gerichte. Eier, Speck, Bohnen … Mein Dad und ich sind während des Krieges ein reiner Männerhaushalt geworden, auch wenn uns Mrs Norwich, unsere Haushälterin, unterstützt.« Er hatte etwas Eis aus dem Kühlfach genommen und in ein Tuch gewickelt, das er ihr reichte.
»Danke.« Die Kühle tat gut. Noch immer war die erotische Spannung zwischen ihnen spürbar. Sie sah zu, wie er ihr ein Glas Wein einschenkte, bevor er verschiedene Lebensmittel aus dem Kühlschrank nahm. Er lächelte leicht.
»Die Zeiten haben sich geändert, oder? Viele Frauen haben während des Krieges in Männerberufen gearbeitet. Unsereins musste dafür kochen lernen«, erklärte er, während er begann, sich am Herd zu schaffen zu machen.
»Das stimmt.« Seine Worte ließen Melinda unwillkürlich an Frank denken. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte sich ganz sicher nichts verändert, und mit dieser Vorstellung war er nicht allein. Mit dem Ende des Krieges wünschten sich die meisten Männer, dass die Frauen wieder ihre Rollen von früher einnahmen.
Ihr Blick blieb an Georges Gestalt hängen, der so souverän wirkte, als ob er das nicht nötig hätte. Sie konnte noch immer seine Lippen auf ihrem Mund spüren. Er küsste gut. Seltsamerweise hatte sie das vermutet. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie sich in ihn verlieben, wurde ihr bewusst.
»Ein Königreich für deine Gedanken! Schmeckt der Wein?« Er hatte sich zu ihr umgedreht.
»Ja, sehr, danke!« Sie hoffte inständig, dass sie nicht rot wurde.
Ein leises Lächeln zeigte sich erneut auf seinem Gesicht, dann wandte er sich wieder dem Essen zu. »Erzähl! Was ist geschehen, seitdem ich dich im
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