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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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dagegen nicht nutzlos und dekadent?
    Nachdenklich lief Edward die belebten Londoner Straßen entlang. Es erschien ihm doppelt tragisch, dass John Sherwood mit seinem Tod auch beinahe alles genauso wieder verloren hatte. Immerhin, das Anwesen würde ihnen bleiben, und seine Schwiegermutter würde ihr Auskommen haben, aber der Reichtum der Sherwoods war dahin. Edward war angesichts dieser Lage froh, dass er selbst die Mitgift von Cathleen nach der Hochzeit klug angelegt und sich – nach der Begleichung der Schulden – von einigen Ländereien getrennt hatte, um den anderen Teil des Besitzes besser verwalten und nutzen zu können.
    Es war nicht weit bis zum Stadthaus der Hamptons, und Edward beschloss, noch etwas durch London zu laufen. Es war lange her, dass er, nur seinen Gedanken nachhängend, hier durch die Straßen spaziert war. Seine letzten Besuche waren immer nur kurz gewesen. Das letzte Mal, dass er sich so durch die Stadt hatte treiben lassen, war nach der Testamentseröffnung, nach dem Tod seines Vaters gewesen. Unwillkürlich erinnerte er sich an jene Tage. Das Bild von Amalia stieg vor seinen Augen auf, wie sie oben auf dem Hügel gesessen und gemalt hatte, und wie er sie, wenige Stunden nach dem Tod seines Vaters, das erste Mal geküsst hatte. Ein heftiger Schmerz durchzog ihn. Es war nicht mehr die Verzweiflung der ersten Tage, die er verspürte, wenn er an sie dachte. Damals, als er noch glaubte, ihr Verlust würde ihn um den Verstand bringen. Doch es tat nicht weniger weh. Es war ein quälender Zustand: Er litt – nur hatte er inzwischen gelernt, damit zu leben. Innerlich fühlte er sich jedoch wie betäubt.
    Um ihn herum war es belebter geworden. Er befand sich in der Portobello Road. Ohne dass er es merkte, hatte ihn sein Weg aus der Erinnerung erneut hierhergelenkt. Er warf einen Blick zu dem Schaufenster des Antiquitätengeschäfts. Fast schien es ihm für einen Moment, als wäre die Zeit stehen geblieben, denn alles war genauso wie damals: die Stimmung, in der die Straße vor ihm lag, die vorbeieilenden Passanten, die langsam hereinbrechende Dunkelheit … Nur die Auslagen im Fenster waren andere. Edward betrachtete die verzierten Kerzenleuchter, den goldenen Handspiegel, das Collier und die Bronzefiguren – und dann erstarrte er. Einen Augenblick lang war er sich sicher, sein Gehirn würde ihm einen Streich spielen, und er würde einer Täuschung erliegen. Er spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte.
    Im Fenster standen auf einer roten Samtunterlage mehrere fein gearbeitete Schachfiguren aus Marmor. Er kannte sie nur zu gut. Es waren die Figuren, die er Amalia geschenkt hatte!
    Mit einem schnellen Schritt war Edward bei der Ladentür und riss sie auf.
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    D er Antiquitätenhändler, der ein Lupenglas in sein Auge geklemmt hatte, versuchte gerade mit einer Pinzette vorsichtig eine winzige Perle auf einer Schmuckdose zu befestigen. Es brauchte eine ruhige Hand und viel Geduld, sich solchen Arbeiten zu widmen, und er fuhr zusammen, als plötzlich ungestüm die Ladentür aufgerissen wurde und der Mann in den Laden stürzte.
    Für einen kurzen Moment befürchtete der Händler, Opfer eines Überfalls zu werden. Vor Jahren hatte er so etwas einmal erlebt, und die Diebe waren in ähnlicher Weise hereingestürmt. Erschrocken blickte er hoch, doch dann sah er, dass der Unbekannte, der vor ihm stehen geblieben war, gut gekleidet war. Sein Mantel war maßgeschneidert und aus edlem Tuch. Seine Haltung und sein Gesicht verrieten, dass er jemand von Stand war. Er war bleich und wirkte aufgewühlt, als würde er unter Schock stehen. Erst als der Antiquitätenhändler das Lupenglas ablegte, stellte er fest, dass er dem Mann nicht zum ersten Mal begegnete. Er war schon einmal in seinem Laden gewesen.
    »Verzeihung, die Schachfiguren, die im Fenster stehen, woher haben Sie sie?«, brach es aus ihm heraus.
    Der Antiquitätenhändler verspürte ein ungutes Gefühl, denn jetzt erinnerte er sich wieder, dass er der Kunde war, der die Schachfiguren im letzten Jahr bei ihm gekauft hatte.
    Er hätte sie nicht von der jungen Frau in Kommission nehmen sollen, dachte er bei sich. Es war ihm von Anfang an seltsam vorgekommen – ihre einfache Kleidung und der Besitz der Schachfiguren hatten nicht recht zusammengepasst. Doch ihre Taubheit und etwas im Ausdruck ihres Gesichts hatten ihn berührt. Sie behauptete, die Figuren geschenkt bekommen zu haben. Das hatte sie auf einen Block geschrieben – und er hatte

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