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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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Leichnam noch nach Alkohol roch.
    Edward hatte sich bemüht, seiner Frau in diesen schweren Tagen zur Seite zu stehen und mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Sosehr sich ihr Vater in den letzten Monaten verändert hatte, sie hatte ihn sehr geliebt. Cathleens Dankbarkeit für seine Zuwendung konnte er jedoch kaum ertragen. Er wünschte, sie würde ihm weniger Gefühle entgegenbringen, sich einen Liebhaber nehmen und akzeptieren, wie es zwischen ihnen war – es wäre einfacher für ihn gewesen.
    »Ich habe es so vermisst, mit dir Zeit zu verbringen«, sagte sie stattdessen, als sie an einem Nachmittag durch den Park spaziert waren. Sie hatte den Kopf an seine Schulter gelehnt und sich bei ihm untergehakt. Von Weitem hätte sie vermutlich jeder für ein glücklich verheiratetes Paar gehalten.
    »Ich bin nicht wie du, Cathleen. Ich bin gern für mich«, wich er aus. Er hatte seinen Schritt verlangsamt und sah sie an. »Du solltest dich öfter ein wenig amüsieren, auch wenn ich nicht da bin!«
    »Allein?« Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel, für wie abwegig sie das hielt.
    Er lächelte leicht. Es waren diese Kleinigkeiten, an denen er immer wieder erkannte, aus welch unterschiedlichen Elternhäusern sie kamen. Bei aller Bildung und aller Anmut ihres Auftretens besaß sie eine Vorstellung vom Leben, die in keinerlei Weise zu den Kreisen passte, in denen sie lebte. »Ja, auch allein. Wir sind verheiratet, aber es ist durchaus nicht unüblich, dass du auch dein eigenes Leben führst.«
    Sie schaute ihn verwundert an. Ein koketter Ausdruck huschte über ihr hübsches Gesicht. »Du wärst nicht eifersüchtig, wenn ich ohne dich zu einem Ball ginge und mit anderen Männern tanzte?«
    Er küsste ihre Fingerspitzen, die kühl waren von der frischen Luft. »Ich wäre immer ein wenig eifersüchtig, aber ich würde mich auch für dich freuen, wenn du dich amüsierst.«
    Seine Antwort schien ihr nicht zu gefallen. »Ich würde trotzdem lieber mit dir hingehen«, sagte sie ernst.
    Edward schwieg. Sie machte es ihm wahrlich nicht leicht. Er hatte erst nach der Hochzeit erkannt, welch leidenschaftlicher Mensch sie im Grunde ihres Herzens war. Sie sehnte sich danach, zu lieben und geliebt zu werden, und diese Erkenntnis ließ seine Schuldgefühle ihr gegenüber nur noch größer und quälender werden.
    Erleichtert, einen glaubhaften Vorwand zu haben, hatte er sich daher auf die Reise nach Plymouth und London gemacht. Er sollte sich einen Überblick über die Lage der Hinterlassenschaften von John Sherwood machen. Seine Schwiegermutter selbst hatte ihn darum gebeten.
    Edwards Erfahrungen als Geschäftsmann waren begrenzt, doch er hatte sich fachlichen Rat und Beistand durch einen Notar und einen Wirtschaftsprüfer besorgt, mit denen er gemeinsam die Bücher und Konten durchging. Die Ergebnisse in Plymouth waren ernüchternd, die in London geradezu niederschmetternd. Es zeigte sich, dass John Sherwood sich schon seit Längerem nicht mehr um seine Geschäfte gekümmert und unglücklicherweise auch nur unzureichende Vollmachten erteilt hatte, mit denen seine Angestellten das Unternehmen in geeigneter Weise hätten weiterführen können. Aufträge waren gar nicht oder nur mangelhaft ausgeführt, bestellte Materialien und Pachten nicht bezahlt worden, und zwischendurch schien John Sherwood außerdem wie ein Spieler immer wieder riskante Spekulationen getätigt zu haben. Er hatte ungeheure Summen verloren. Die Bücher und Konten, die er hinterließ, waren der Spiegel eines Mannes, der allein seinen Launen und Stimmungen unterworfen und von allem, nur nicht mehr von seiner Vernunft geleitet worden war. Man konnte von Glück sagen, dass John Sherwood die Verbindlichkeiten der Hamptons zu einem Zeitpunkt beglichen hatte, als es um seine Geschäfte noch besser stand. Von dem unermesslichen Vermögen, das sein Schwiegervater einst aufgebaut hatte, war kaum noch etwas übrig.
    Als Edward am Nachmittag die Londoner Geschäftsräume verließ, fragte er sich, ob tatsächlich allein Amalias Tod – wie Cathleen glaubte – für diesen erschütternden Niedergang verantwortlich war. Edward musste zugeben, dass ihm das Leben von John Sherwood trotz allem Respekt abnötigte. Die Bücher und Konten hatten ihm einen Blick in ein Unternehmen eröffnet, das einst mit ungeheurem Fleiß und auch Weitblick aufgebaut worden war. Aus dem Nichts hatte John Sherwood alles geschaffen. In Edwards Kreisen sah man darauf herab. Aber mit welchem Recht? War sein eigenes Leben

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