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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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gewünscht hatten. Nur einmal hatte Elisabeth danach noch geglaubt, dass sie erneut alles verloren hätten.
    Fast zwei Jahre waren vergangen, und sie stand kurz vor der Geburt ihrer zweiten Tochter, Amalia, als John eines Nachmittags mit blasser Miene zu ihr kam. Er reichte ihr ein Papier, auf dem der Briefkopf der Bank abgedruckt war. Ein furchtbarer Schreck ergriff sie, und ihre Hand glitt unwillkürlich schützend zu ihrem Bauch, während sie auf die Zahlen starrte, die den Wert ihrer Aktienpapiere wiedergaben, ohne dass sie sie verstand. Sie wusste, dass John ihre anfängliche Investition in regelmäßigen Abständen vergrößert und zusätzlich weitere Aktien und Anleihen gekauft hatte. Das Spiel mit den Märkten und kolonialen Unternehmungen war noch immer seine große Leidenschaft. Sie war deshalb anfangs ängstlich gewesen, doch er hatte sie beruhigt. Er hatte nicht vergessen, dass Mr Thomson sie davor bewahrt hatte, ein zweites Mal alles zu verlieren, und war vorsichtig geworden. »Ich will nichts Spekulatives, Lisbeth!«, hatte er ihr versprochen. »Sondern Holz, Stahl, Eisen – Materialien, die man für den Bau von Schiffen, von Dampfmaschinen und Eisenbahnen braucht. Das habe ich begriffen, als ich gesehen habe, wie groß die Nachfrage nach unseren Kisten ist. Die braucht man immer, ob man nun Tee, Kaffee oder Gewürze hineinpackt. Und genauso ist es mit Schiffen oder Eisenbahnen!«
    Elisabeth hatte gefunden, dass das vernünftig klang – nun blieb ihr Blick an den zusätzlichen Nullen hängen.
    »Aber das kann doch nicht sein!«, sagte sie fassungslos.
    »Doch, es stimmt!« John war ihr gegenüber auf einen Stuhl gesunken und fuhr sich durchs Haar. »Wir sind reich, wirklich reich, Lisbeth.«
    Sie blickte ihn noch immer sprachlos an.
    Danach veränderte sich ihr Leben von Grund auf. Sie konnten ein Stadthaus kaufen und hatten zum ersten Mal eigenes Personal – zwei Dienstmädchen, eine Köchin und sogar einen eigenen Kutscher. John arbeitete weiterhin viel, reiste zwischen London und Südengland hin und her und investierte, während Elisabeth sich jetzt mehr um die häuslichen Belange und die Kinder kümmerte. Gelegentlich kam sie jedoch noch immer in die Firma, um John zu helfen. Auf dem Weg dorthin, wenn sie durch den Londoner Osten fuhr, begegneten ihr die Schatten der Vergangenheit wieder. Die Armut, die sie erlebt hatte, erschien ihr mit einem Mal so schrecklich, dass sie den Anblick nicht mehr ertragen konnte. Wenn sie die bettelnden und zerlumpten Gestalten auf den Straßen sah, die erschöpften Gesichter der Arbeiter und Tagelöhner, deren Lohn gerade einmal reichte, um nicht zu verhungern, wandte sie mit starrer Miene den Kopf ab. Der Schmutz, der Hunger und das Elend erzeugten nun ein Gefühl des Ekels und der Abscheu in ihr. Sie mied es, mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen, als würde von ihnen die Gefahr einer ansteckenden Krankheit ausgehen.
    Ihr Vermögen wuchs weiter. Zwei Jahre später erfuhren sie, dass Johns Schwester Ella mit ihrem Mann Finley aus Devon in den Norden Englands ziehen würde, weil er seine Stelle verloren hatte. Der alte Lord Landshire, bei dem Finley als Knecht gearbeitet hatte, war verstorben und besaß keine direkten Erben, sondern nur entfernte Verwandte in Übersee. Es erschien Elisabeth wie ein Ruf des Schicksals, als sie hörte, dass das alte Herrenhaus, das sie in all den Jahren nie vergessen hatte, zum Verkauf stand.
    18
     
    M iss Carrington hatte die Mädchen gründlich auf das Sommerfest des Waisenhauses vorbereitet. Sie hatte mit ihnen geübt, wie man fremde Damen und Herren begrüßte und dabei anmutig einen Knicks machte, ihnen erklärt, dass sie zu warten hatten, bis die Erwachsenen zuerst das Wort an sie richteten, und sie ermahnt, nicht herumzutoben, denn Letzteres gehöre sich für kleine Mädchen nicht. Brav hatten Cathleen und Amalia versprochen, in allem Folge zu leisten, und nun standen sie in ihren weißen Kleidchen mit gekämmten Haaren, die man ihnen mit einer Schleife aus dem Gesicht gebunden hatte, vor ihr und sahen einfach bezaubernd aus. Nicht ohne Stolz ruhte der Blick der Gouvernante auf ihren beiden Zöglingen, und sie musste unwillkürlich daran denken, dass sie die Stelle bei den Sherwoods vor einem Jahr eigentlich gar nicht hatte annehmen wollen. Miss Carrington hatte lange Jahre in den besten Familien als Gouvernante gearbeitet, und in ihrem Lebenslauf war es zweifellos ein Abstieg, dass sie sich in die Dienste der Sherwoods

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