Die Schwestern von Sherwood: Roman
begeben hatte. Sie war damals aus reiner Neugier zu dem Vorstellungsgespräch gegangen, denn natürlich sprach man in der Gegend über die Sherwoods, über dieses Paar, dem sein Reichtum jedes Gefühl genommen hatte, wer sie waren und woher sie kamen, und die tatsächlich die Ungeheuerlichkeit besessen hatten, das Anwesen von Landshire zu kaufen und es auch noch auf ihren Namen umzutaufen. Der Schwager von John Sherwood hatte noch als Knecht für den alten Lord Landshire gearbeitet, und nun glaubten diese Leute, sich einfach durch etwas Geld zur Upperclass emporschwingen zu können?
Bei dem Vorstellungsgespräch schienen sich zunächst auch alle Vorurteile zu bestätigen. John Sherwood kam, kaum dass sie den ersten Schluck Tee getrunken hatte, sofort aufs Geld zu sprechen. Er sei bereit, ihr das Doppelte ihres letzten Gehalts zuzüglich eines Bonus zu zahlen, wenn sie die Stelle annähme, erklärte er, als würden sie auf dem Bazar über irgendeinen Holzpreis verhandeln. Sie hatte damals nur kühl gelächelt, weil er nicht verstand, dass in der Welt, in der sie lebte, Geld nicht das Entscheidende war und er mit dem Angebot nur erreichte, dass sich alles bestätigte, was man über ihn und seine Frau erzählte. Sie war fest entschlossen, die Stelle abzulehnen, doch dann bestand Elisabeth Sherwood darauf, dass sie ihre Töchter kennenlernte. Die Höflichkeit ließ Miss Carrington keine Wahl.
Sie hätte nicht sagen können, was sie erwartet hatte. Vermutlich zwei Kinder, in denen sich die Gewöhnlichkeit ihrer Eltern spiegelte und die ebenso unpassend in der Umgebung des ehrwürdigen Herrenhauses wirkten wie Elisabeth und John Sherwood selbst. Aber das war nicht der Fall. Im Gegenteil. Obwohl die beiden Mädchen erst fünf und sechs Jahre alt waren, strahlten sie eine Grazie und Zartheit aus, die Miss Carrington einen Moment lang zweifeln ließen, dass die Sherwoods tatsächlich die Eltern dieser zauberhaften Geschöpfe waren. Die Ältere war dunkelhaarig mit grünen Augen, die Jüngere hatte dagegen das hellblonde Haar eines Engels. Der äußerliche Kontrast der beiden war fast ebenso reizvoll wie das innige Verhältnis der beiden Schwestern zueinander. Auf den ersten Blick sah man, dass sie eine verschworene Einheit waren, in der beide die Nähe der anderen nicht nur suchten, sondern brauchten, als würden sie sich dadurch von ihren Eltern abgrenzen. Es waren zwei empfindsame Seelen, und der anmutige Knicks, in den Cathleen und Amalia vor ihr sanken und sie dabei anlächelten, erwärmte augenblicklich das Herz von Miss Carrington. Ihre Entscheidung, die Stelle nicht anzunehmen, geriet mit einem Mal ins Wanken. Sie hatte das Gefühl, Cathleen und Amalia würden sie brauchen. Ja, sie fragte sich sogar, ob der liebe Herrgott ihre Wege nicht vielleicht ganz bewusst hierhergelenkt hatte, damit sie sich der beiden annahm. Und so kam es, dass sie schließlich doch in die Dienste der Sherwoods getreten war.
Nur wenige Menschen in ihrem persönlichen Umfeld hatten die Entscheidung verstehen können. Die meisten waren regelrecht schockiert gewesen. Die Gouvernante freute sich deshalb, dass man ihre beiden Zöglinge auf dem Sommerfest der Gesellschaft zeigen würde.
Es hatte sie etwas verwundert, dass die Sherwoods überhaupt eine Einladung dazu erhalten hatten. Mary, die als Nanny bei den Hamptons arbeitete und mit der sie sich regelmäßig zum Tee traf, hatte ihr jedoch erzählt, dass John Sherwood wohl eine so großzügige Spende getätigt hatte, dass man um die Einladung nicht herumgekommen war.
Nachdenklich hatte Miss Carrington auf diese Neuigkeit hin an ihrem Tee genippt. Es war ein Fehler, Mrs Sherwood – auf die diese Initiative der Wohltätigkeit ganz sicher zurückging – zu unterschätzen. In ihrem verzweifelten Bemühen und Willen, zur besseren Gesellschaft dazuzugehören, lag etwas Gefährliches. Es war nie gut, wenn Menschen nicht bereit waren, den Platz, der ihnen in dieser Welt zugedacht war, zu akzeptieren, hatte sie gedacht, und genau dieser Gedanke ging ihr auch durch den Kopf, als sie an diesem Nachmittag mit den Sherwoods auf dem Sommerfest eintraf.
Die Sonne strahlte, und auf der großen Wiese vor dem Waisenhaus hatte man Zeltdächer aufgebaut, unter denen Erfrischungen gereicht wurden und wohin die Damen sich zu ihrer Erholung auf einen der Sessel in den Schatten zurückziehen konnten. Ein kleines Orchester spielte Musik, und für die Kinder gab es ein Marionettentheater und Darbietungen von
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