Die Schwestern von Sherwood: Roman
überschwängliche Begeisterung, mit der John von Tee sprach, erinnerte sie daran, wie er ihr einst von dem neuen Gewürz erzählt hatte, das sie angeblich reich machen würde.
Eine zunehmende Furcht machte sich in ihr breit, denn zu den Geschäftsleuten, die regelmäßig in dem Hotel abstiegen, gehörten auch einige Männer, die Anteile an der Assam Tea Company besaßen. Elisabeth hatte mitbekommen, dass sie oft darüber sprachen, wie sehr der Tee aus Indien zurzeit an Qualität verlor.
Sie versuchte John, der bereits einen Termin bei der Bank hatte, davon zu erzählen, aber er wischte ihre Einwände beiseite. Tee würde immer getrunken werden.
Panik ergriff sie. Als Elisabeth das nächste Mal im Hotel arbeitete und im Zimmer eines der Geschäftsmänner der Assam Tea Company sauber machte, sah sie auf dem Schreibpult Unterlagen und mehrere Mappen liegen. India und Tea war auf der Deckseite von einer von ihnen notiert. Sie stellte kurz entschlossen den Eimer zur Seite und schlug, ohne zu überlegen, die Mappe auf. Auf den Blättern waren seltsame Kurven und Zahlen notiert. Sie versuchte nervös zu begreifen, was sie bedeuteten, als sie zu spät die Schritte hinter sich hörte und von dem Geschäftsmann, einem Herrn namens Thomson, überrascht wurde. Es war schrecklich. Sie wurde feuerrot und brach vor Angst in Tränen aus, weil sie sicher war, nun nicht nur ihre Stelle zu verlieren, sondern sie auch noch immer nicht wusste, ob John das Falsche tat, wenn er in Tee investierte.
Schluchzend gestand sie damals Mr Thomson – der verständlicherweise den Verdacht hegte, jemand hätte sie zum Spionieren geschickt oder sie hätte die Unterlagen sogar stehlen wollen – in ihrer Verzweiflung schließlich die Wahrheit. Sie sah noch heute seinen ungläubigen Gesichtsausdruck vor sich.
»Ihr Mann will Tee-Aktien kaufen?«, fragte er schließlich. Elisabeth wurde bewusst, wie lächerlich diese Erklärung aus dem Mund eines Zimmermädchens klingen musste. »Wir haben etwas zusammengespart«, erklärte sie leise.
Er hatte sie erneut gemustert, milder diesmal, und hatte sich schweigend eine Zigarre angezündet. »Ihr Verhalten war falsch, Mrs Sherwood, und hätte Sie Ihre Stelle kosten können, aber angesichts Ihrer Lage werde ich darüber hinwegsehen und Ihnen einen Rat geben. Ihr Mann soll unter allen Umständen die Finger vom Tee lassen!«
Stammelnd bedankte sie sich und war schon auf dem Weg zur Tür, als sie noch einmal all ihren Mut zusammennahm und ihn fragte, worin er denn sein Geld investieren würde. Kleine Rauchwölkchen waren vor ihm in die Luft gestiegen, und er hatte belustigt geschmunzelt.
»In das Gegenteil von Tee – in Kaffee. In Kaffee aus Ceylon«, sagte er dann.
Die Begegnung mit Mr Thomson gehörte zu jenen glücklichen Zufällen, die ihr Leben entscheidend beeinflussen sollte, denn sie folgten seinem Rat und kauften Kaffee. Nur ein Jahr später, 1866 , erfuhren sie, dass die Agra Bank in Indien und der Finanzmarkt in Kalkutta zusammengebrochen waren. In der Folge war auch der Aktienwert der Tee-Gesellschaften steil nach unten gestürzt, und mit ihnen wurde der gesamte Londoner Geldmarkt erschüttert.
Die Kaffee-Aktien begannen hingegen zu steigen. John und Elisabeth arbeiteten aber auch weiterhin mit ganzer Kraft für ihr Unternehmen. John hatte inzwischen ein ganzes Gebäude für die Herstellung der Kisten angemietet und zehn Arbeiter unter sich. Nach ihrer denkwürdigen Begegnung mit Mr Thomson hatte Elisabeth endlich doch ihre Stelle im Hotel aufgegeben, um John in der Firma zu unterstützen. Sie beaufsichtigte die Lackierungen der Namenszüge und half ihm im Büro. Sie arbeiteten beide noch mehr als früher, und während Monate über Monate und schließlich einige Jahre dahinflossen, wuchs ihr Wohlstand. Nach langem Überlegen entschloss sich John schließlich, zusätzlich als Teilhaber in ein Sägewerk einzusteigen. Dadurch konnten sie Planken und Bohlen für den Schiffsbau sägen lassen. Die Aufträge kamen längst nicht mehr nur aus London, sodass sie im Frühjahr 1873 eine Zweigstelle in Südengland aufbauten.
Zu diesem Zeitpunkt wurde Elisabeth endlich wieder schwanger. Sie weinte leise, als der Arzt ihr verkündete, sie befände sich in anderen Umständen. Nach der Fehlgeburt und den entbehrungsreichen Jahren hatte sie schon geglaubt, keine Kinder mehr bekommen zu können. John schloss sie überglücklich in die Arme. Alles schien sich so zu entwickeln, wie sie immer gehofft und
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