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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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konnte den Rhythmus förmlich spüren. Sie stießen fast gegen eine Kommode, drehten sich weiter – zweimal durch den ganzen Raum, bis sie außer Atem vor dem Spiegel zum Stehen kamen. Den Arm noch immer um ihre Taille, standen sie eng nebeneinander. Cathleen lehnte ihre Wange gegen die ihre, ohne den Blick von ihrer beider Spiegelbild zu nehmen. Einen Moment lang standen sie so still, als würde ein Maler sie porträtieren, und Amalia sah sie beide, wie er sie vermutlich gesehen hätte. Zwei junge Mädchen, beide schlank und grazil, die eine dunkelhaarig mit grünen Augen und die andere blauäugig, mit langem, hellblondem Haar. Es war ein Bild voller Gegensätze, das ihnen entgegenschaute. So unterschiedlich ihr Äußeres war, so verschieden waren auch ihre Charaktere. Cathleen sprühte vor Temperament und war beständig von einer inneren Unruhe erfüllt, die die Oberfläche zu durchbrechen drohte, während Amalia Festigkeit und innere Ruhe besaß und danach suchte, in die Dinge einzutauchen. Cathleen habe etwas von einem schwelenden Vulkan, hatte Miss Carrington einmal gesagt, während sie, Amalia, wie das Meer sei. Doch so gegensätzlich sie beide waren, man erkannte doch im Äußeren wie im Wesen, dass sie Schwestern waren. Sie ergänzten sich. Was die eine nicht hatte, besaß die andere – sie gehörten zusammen und waren eine Einheit. Schon immer war das so gewesen.
    Ihr Blick blieb an Cathleens Augen hängen, die sie noch immer bittend anschauten. Amalia befreite sich aus ihrer Umarmung.
    Ich will wirklich nicht! Du musst dir keine Gedanken um mich machen. Sie legte ihr die Hand auf die Schulter. Erzähle mir später, wie es war, ja? , bedeutete sie ihr, denn sie erkannte den Anflug von Schuldgefühl in Cathleens Gesicht. Einen Moment lang begriff Amalia, wie viel schwieriger es für ihre Schwester war als für sie. Das Leben hatte unwiderruflich getrennte Wege für sie vorgesehen – und das zeigte sich jetzt. Nichts konnte daran etwas ändern. Cathleen wurde darauf vorbereitet, in die Gesellschaft eingeführt zu werden und dort zu glänzen. Unter der Führung von Miss Carrington wurde sie neben den üblichen Fächern verstärkt im Tanz, der Konversation und der Etikette unterrichtet. Sie machte in Begleitung der Gouvernante Besuche auf anderen Anwesen und Manors und würde nun bald regelmäßig zu Dinners und Festen gehen – und Amalia wollte nicht, dass sie wegen ihr jemals Schuldgefühle empfand. Ihr Leben war ein anderes. Niemals würde sie so wie Cathleen in der Gesellschaft verkehren können. Sie empfand darüber weder Trauer noch Bedauern. Ihre Welt war auf andere Weise reich. Auf den ersten Blick schien Cathleen die Begünstigte zu sein, doch Amalia fand, dass ihr Leben einen nicht zu verachtenden Vorzug hatte: die Freiheit. Niemand schmiedete mit ihr Pläne, hatte Erwartungen an sie oder verlangte, dass sie ihre Pflicht erfüllte. Sie hatte sich an einige Regeln zu halten, sicher, aber im Großen und Ganzen erteilte man ihr kaum Vorschriften und ließ sie tun und lassen, was sie wollte. Das war der Vorteil an der Bedeutungslosigkeit, die sie durch ihre Taubheit bekommen hatte und die sie mehr und mehr zu schätzen wusste.
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    M it dem Ende der Londoner Saison – wenn die letzte Parlamentssitzung im House of Lords geschlossen war – kehrten die adligen Anwohner und die Privilegierten, die am Hof vorgestellt waren, wieder auf ihre Landsitze nach Devon zurück. Mit ihnen hielt auch das gesellschaftliche Leben in der Gegend wieder Einzug. Feste, Dinners, Wohltätigkeitsveranstaltungen und Jagden wurden organisiert, und diejenigen, die nicht in London gewesen waren, versuchten begierig, etwas über das glanzvolle Leben dort zu erfahren – über die Bälle und Vorstellungen am Hof, die Pferderennen in Ascot, über die neuesten Theaterstücke, die Cricketspiele im Lord’s oder die Ruderregatta in Henley.
    Derweilen begann in Devon im Dartmoor die eigene Saison. Dieses Jahr würde der Ball bei den Lyshires dazu den Auftakt geben. Seit Tagen war man damit beschäftigt, Cathleen auf diesen Abend vorzubereiten. Sogar ein Tanzlehrer war eigens noch einmal aus Exeter gekommen. Amalia hatte es am Nachmittag schließlich nicht mehr ausgehalten und war aus dem Haus geflohen. Dass ihre Schwester so aufgeregt war, fand Amalia nur natürlich, und sie wünschte ihr von Herzen, dass sie einen wundervollen Abend verbringen würde. Aber dass ihre Eltern sich so benahmen, als würde Cathleen der Queen

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