Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
Vom Netzwerk:
sie weigerte sich zu sprechen.
    Eines Tages verlor er schließlich vollständig die Beherrschung. Er umklammerte ihr Kinn so fest, dass sie glaubte, er würde ihr den Kiefer brechen, und schlug wie von Sinnen auf sie ein. Nicht einmal in diesem Moment hatte sie geschrien. Da wurde plötzlich die Tür aufgerissen. Miss Carrington stand auf der Schwelle. Sie zog sie schützend in ihre Arme und sagte etwas zu dem Lehrer. Noch nie hatte Amalia sie so aufgebracht erlebt. Ihre Lippen bewegten sich in einer Geschwindigkeit, die die Worte wie Schläge auf Mr Beans einprasseln ließ, der in sich zusammenfiel. Noch am selben Tag musste er das Haus verlassen.
    Vor seiner Abreise stand er im Flur mit seinem Koffer unerwartet noch ein letztes Mal vor ihr. Miss Carrington war an ihrer Seite und legte fest den Arm um sie. Er lächelte glatt, doch dann hatte er sich auf einmal zu ihr nach unten gebeugt, und seine Lippen formten lautlos einen Satz, den nur sie lesen konnte: Wir werden uns wiedersehen – das verspreche ich dir!
    Lange Jahre hatte Amalia selbst bei der Erinnerung daran geschaudert, und es war dieser eine Satz, der seine Gestalt auch heute noch bisweilen in ihren Träumen herumspuken ließ. Sie schüttelte ihr Haar und blickte erneut in die Ferne, bis sich auch der letzte Hauch der Erinnerung verflüchtigte. Dann atmete sie tief durch. Einen Augenblick lang spürte sie, wie ihr Kleid und Haar im Wind flatterten, und sie fühlte sich eins mit der Natur. Sie liebte es, hier zu sein! Ein unbändiges Gefühl der Freiheit ergriff sie. Über einer vereinsamten Gruppe von Büschen und Bäumen stieg ein Schwarm Vögel auf, als hätte etwas sie aufgeschreckt. Sie drehte sich um. Kurz glaubte sie, hinter einer Gruppe von mannshohen Felsen eine Bewegung wahrzunehmen. War jemand hier? Doch sie konnte niemanden entdecken.
    38
     
    D er Mann hatte sich eilig wieder hinter den Felsen geduckt. Bei dem Gedanken, dass ihn irgendjemand so sehen konnte, glitt unfreiwillig ein Lächeln über seine Lippen. Er hatte keine Ahnung, was in ihn gefahren war. Es war weiß Gott nicht seine Art, fremde Frauen zu verfolgen und sich dann wie ein Halbwüchsiger, der einen Streich begangen hatte, zu verstecken. Das entsprach weder seinem Alter noch seinem Stand.
    Wer hätte ahnen können, dass dieser Tag noch einen solch seltsamen Verlauf nehmen würde! Der Mann strich sich nachdenklich sein schwarzes Haar aus der Stirn und ließ sich gegen den Felsen in seinem Rücken sinken. Das Gesicht seines Vaters schob sich erneut vor seine Augen und riss ihn gedanklich zurück in die Wirklichkeit. Es schmerzte unerwartet heftig, was er erfahren hatte. Dabei hatte er seit so vielen Wochen geahnt, was mit seinem Vater los war. Zu der Sorge um ihn kam nun die Gewissheit, dass es für ihn selbst kein Entkommen geben würde.
    Sein Leben gehörte nicht ihm. Er hatte es immer gewusst, obwohl er sich seit Wochen in London wie ein Süchtiger in Vergnügungen gestürzt hatte, als würde er dadurch allem entfliehen können. Wie im Rausch war er durch einen Reigen von Dinners, Opernbesuchen, Bällen und immer neuen Affären geglitten. Sein Ruf war berüchtigt, doch die meisten Frauen liebten das Abgründige, hatte er gelernt. Er genoss die Stunden mit ihnen, und man sagte ihm nach, er sei ein guter Liebhaber. Dennoch machte er sich nichts vor: Es war die Jagd, die ihn am meisten reizte und die der aufregendste Part bei seinen Affären war, und häufig kam der Augenblick der Eroberung schneller, als ihm lieb war.
    Er war nicht stolz auf seinen Lebenswandel. Oft widerte es ihn selbst an, dass er auf diese Weise der eigenen schalen Leere zu entfliehen suchte. Als sein Vater ihm heute die ganze Wahrheit gestanden hatte, hatte er sich bemüht, Haltung zu bewahren – zumindest in seiner Gegenwart. Es stand schlimmer, als er geglaubt hatte. Danach hatte er sein Pferd satteln lassen, und es hatte ihn nach draußen getrieben. Voller Unruhe hatte er das Tier bis zur Erschöpfung die Hügel hinauf- und wieder hinuntergejagt, erfüllt von düsterer Ratlosigkeit und dem Wunsch, einen klaren Gedanken darüber fassen zu können, was er nur tun sollte. In dem Moment, als er schließlich außer Atem an einem der Abhänge zum Stehen gekommen war, hatte er die Gestalt der Frau bemerkt.
    Irgendetwas an ihr hatte ihn sofort fasziniert. Es war nicht allein ihr ungewöhnlich helles, blondes Haar, das sie von Weitem wie ein Wesen aus einer anderen Welt wirken ließ – beinahe wie eine Fee oder

Weitere Kostenlose Bücher