Die Schwestern von Sherwood: Roman
persönlich vorgestellt, hatte etwas Befremdliches. Es zeigte nur allzu offensichtlich, dass all diese Tee-Einladungen, diese Dinners und Feste, zu denen Cathleen ging, nur ein Ziel hatten – einen geeigneten Ehemann für sie zu finden. Ihre Schwester sollte eine gute Partie machen, eine, die sie gesellschaftlich weiter aufsteigen ließ und half, endgültig in Vergessenheit zu bringen, von welch einfacher Herkunft die Sherwoods waren.
Amalia zweifelte nicht, dass die entsprechenden Herren um Cathleens Hand anhalten würden. Sie war zauberhaft und liebte das Leben. Welcher Mann würde sich nicht glücklich schätzen, sie zur Frau zu bekommen?
Ein Seufzen entschlüpfte Amalias Lippen. Sie verspürte ein leises Angstgefühl. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, was aus ihr werden würde, wenn ihre Schwester tatsächlich heiratete. Der Gedanke, allein mit ihren Eltern zurückzubleiben, hatte etwas Beklemmendes. Wenn ich jemals heirate, gehe ich nicht ohne dich, hatte Cathleen ihr einmal in der ihr eigenen überschwänglichen Art mitgeteilt. Amalia bezweifelte indessen, dass ihr zukünftiger Ehemann, wer immer es auch sein würde, begeistert war, mit der Vermählung gleich eine taube Schwester dazuzubekommen. Nachdenklich stieg sie den unebenen Hügel hinauf, der zu ihren Lieblingsplätzen beim Malen gehörte. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie die Gestalt des Mannes, der an einem der Felsen lehnte, erst bemerkte, als sie schon fast oben angekommen war.
Ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen, und sie hatte das ungute Gefühl, dass er sie schon länger beobachtete. Er war Ende zwanzig, schätzte sie, und seine Kleidung und seine selbstbewusste Haltung verrieten, dass er von guter Herkunft, wenn nicht von höherem Stand sein musste. Vermutlich stammte er von einem der umliegenden Herrenhäuser und Manors. Schwarzes Haar fiel ihm wellig in die Stirn, und er besaß ungewöhnlich blaue Augen, die sie interessiert musterten.
Ihr Herz klopfte. Wieder umzudrehen war albern, obwohl sie genau das am liebsten sofort getan hätte. Doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass dies hier ihr Platz war. Es wäre ihr vorgekommen, als würde sie ein Stück von ihrem Territorium aufgeben, wenn sie sich von einem Fremden vertreiben ließ. Warum musste er sich ausgerechnet diesen Hügel auswählen? Entschlossen stieg sie das letzte Stück bis zur Spitze hoch.
Immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen lüftete der Unbekannte seinen Hut.
Sie nickte ihm knapp zu und wandte sich zur anderen Seite des Hügels. Vielleicht verschwand er ja einfach. Obwohl ein Teil von ihr das Gegenteil hoffte, musste sie sich eingestehen. Wer er wohl war? Sie erinnerte sich plötzlich an das Pferd, das sie neulich im Wald entdeckt hatte. Gehörte es ihm? Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass der Mann neugierig an ihrem schlichten Umhang und Kleid hinabsah. Einen Moment lang war es ihr unangenehm, dass er sie für eine Bedienstete oder Bäuerin halten könnte. Doch dann hatte der Gedanke sogar etwas Amüsantes.
Sein Blick blieb an ihrem Haar und Gesicht hängen. Sie kannte diesen Ausdruck bei den Menschen. Viele, die sie das erste Mal sahen, schauten sie so an. Doch sobald sie mitbekamen, dass sie nicht hören konnte und kaum sprach, verwandelte sich die Faszination in befangenes – oder schlimmer noch – betroffenes Mitleid. Welch tragisches Schicksal! Was für ein Jammer. Das war es, was sie dachten. Sie konnte es deutlich in ihren Augen lesen.
Der Gedanke, dass auch der Unbekannte sie gleich auf diese Weise anschauen würde, versetzte Amalia einen Stich und war ihr plötzlich unerträglich. Fast im selben Moment sah sie, dass er den Mund bewegte und etwas sagte. Eine belanglose Bemerkung über das Wetter oder die Landschaft, vermutete sie. Wurden nicht die meisten Gespräche so begonnen?
Sie beschloss, es zu ignorieren, als sie feststellte, dass er mit fragendem Gesicht auf sie zugeschlendert kam. Panik stieg in ihr auf. Wie sollte sie dieser Situation entkommen? Sie wollte ihm nicht erklären müssen, dass sie nicht hören konnte!
Er lächelte. Es war ein sympathisches, gewinnendes Lächeln, dem sich Amalia nicht entziehen konnte. Etwas Jungenhaftes und zugleich Männliches lag darin. Sein Blick, der eine Spur herausfordernd war, ließ keinen Zweifel, dass sie ihm gefiel, und Amalia wurde bewusst, dass niemals zuvor ein Mann sie so angesehen hatte.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich erneut. Sie fragte sich, ob er gewagt hätte, sie
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