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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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in der gleichen Weise anzuschauen, wenn sie nicht wie ein Dienstmädchen oder eine Bäuerin gekleidet gewesen wäre. Sein Lächeln lag an der Grenze zur Überheblichkeit. Er war sich seiner Wirkung vollauf bewusst, wurde ihr klar.
    Erneut bewegte er den Mund, und diesmal gelang es ihr, einige Bruchstücke von seinen Lippen abzulesen: » ganz allein … junge schöne Dame … «
    Sie verzog spöttisch den Mund. Es hatte etwas Komisches, dass er hier mitten in der Einsamkeit des Moors ein Geplänkel begann, als würden sie sich in der Gesellschaft beim Tee oder einem Ball begegnen – ohne zu ahnen, was mit ihr war.
    Ihre Reaktion schien ihn sichtlich zu irritieren. Er runzelte die Stirn, musterte sie und wurde plötzlich ernst.
    Seine blauen Augen trafen die ihren erneut, durchdringend und mit einer Intensität, auf die sie nicht vorbereitet war und die nichts mehr mit der Oberflächlichkeit seines Lächelns zuvor gemein hatte. Als käme darunter ein anderer Mensch zum Vorschein. Auf einmal lag ein fragender, beinahe ein wenig verärgerter Ausdruck auf seinem Gesicht, und überrascht erkannte sie, dass er dahinter eigentlich aufgewühlt und niedergeschlagen wirkte.
    Irgendwann vermochte sie seinem Blick schließlich nicht länger standzuhalten. Sie griff in ihrer Rocktasche nach dem Block und dem Bleistift, die sie immer bei sich trug, und schrieb etwas auf. Dann reichte sie es ihm.
    Ich kann nicht hören!
    Er starrte sie an, nachdem er es gelesen hatte, und sie hob in Erwartung dessen, was sich gleich auf seinem Gesicht zeigen würde, das Kinn. Sie hatte es so oft erlebt, sie würde es auch jetzt ertragen.
    Doch zu ihrer Überraschung zeigte er keinerlei Anzeichen der üblichen Reaktion, sondern deutete auf sich und machte eine entschuldigende Geste. Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar, ohne den Kopf abzuwenden, und blickte sie noch immer in der gleichen Weise wie zuvor an.
    Sie entspannte sich.
    Er streckte die Hand nach dem Stift aus. Neugierig beobachtete sie, wie er etwas auf den Block schrieb und ihn ihr zurückreichte.
    Verraten Sie mir Ihren Namen?
    Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte, während sie ihn anschaute. Dann steckte sie den Block wieder ein – und schüttelte den Kopf.
    Eine unmutige und ein wenig verwirrte Regung flackerte in seinen Augen auf.
    Sie lächelte noch immer, bevor sie ihm zunickte, sich umdrehte und daranmachte, den Hügel wieder hinabzusteigen.
    Auf dem Weg nach unten konnte sie seinen brennenden Blick in ihrem Rücken spüren, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war.

MELINDA

42
     
    London, Februar 1948
    M elinda hatte Mühe, sich auf das Seminar zu konzentrieren. Es war acht Uhr am Morgen, und es kam ihr unwirklich vor, wieder hier in London zu sitzen und darüber zu diskutieren, wie eine objektive Berichterstattung in der Presse auszusehen hatte. Sie war am Abend zuvor mit dem Spätzug aus dem Dartmoor zurückgekehrt, und die Bilder und Erlebnisse geisterten noch immer durch ihren Kopf: das Sherwood-Manor, die unheimlichen Erzählungen über die beiden Schwestern, sie selbst, wie sie im Nebel glaubte, verfolgt zu werden, und dazwischen immer wieder das Gesicht von George Clifford, der ihr kaum weniger mysteriös erschien als die Landschaft des Dartmoors.
    »Da ist aber jemand nachdenklich«, sagte Emil in der Pause des Seminars zu ihr. Sie standen draußen in der Kälte. Neugierig musterte er sie, während er an seiner Zigarette zog.
    »Und wie war dein Ausflug? Bist du am Wochenende dem Höllenhund von Baskerville begegnet?«
    Sie musste lächeln. »Na ja, es hätte nicht viel gefehlt«, erwiderte sie in Erinnerung daran, wie sie im Nebel davongerannt war. »Es war auf jeden Fall spannend. Danke noch mal für das Buch. Die perfekte Einstimmung auf die Gegend und so unheimlich, dass ich mich nicht getraut habe, es allein im Zug weiterzulesen.«
    Emil grinste. »Na, dann hat es ja seinen Zweck erfüllt!«
    Sie sah zu, wie er die Zigarette austrat. »Sag mal, meinst du, dass man als deutscher Journalist die Möglichkeit hat, an die englischen Zeitungsarchive heranzukommen?«, fragte sie, als sie wenig später wieder ins Gebäude gingen. Auf der Rückfahrt im Zug hatte sie überlegt, dass damals vielleicht noch mehr über den Tod der Sherwood-Schwestern in den Zeitungen gestanden hatte. Vor allem in der lokalen Presse musste es noch andere Artikel geben. Schließlich hatten Edward Hampton und seine Frau Cathleen zur sogenannten besseren

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