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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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gestochen geschwungenen Schrift geschrieben, und es überraschte sie nicht einmal, dass sie auf Englisch verfasst waren.
    Meine schöne Unbekannte,
    wie oft haben wir uns jetzt gesehen? Dreimal? Nein, eigentlich viermal – ich zumindest, denn wir sind uns bei Whistman’s Wood nicht das erste Mal begegnet, es war kein Zufall. Ich will Dir beichten, dass ich Dich Tage zuvor schon einmal gesehen hatte – von Weitem erblickte ich Deine Gestalt in dem flatternden Mantel. Du standest minutenlang auf dem Hügel und hast in die Ferne geschaut – so schön und vollkommen, dass ich glaubte, einem Trugbild erlegen zu sein. Ich musste an all die Geschichten denken, die sich die Leute hier erzählen und die ich immer als dummen Aberglauben abgetan habe – über die Irrlichter, die Menschen immer tiefer in die Dunkelheit des Moores locken. Du wirst lachen, aber als ich Dich dort stehen sah, verließ mich einen Augenblick lang mein gesunder Menschenverstand, und ich fragte mich plötzlich, ob diese Lichter einem auch in der Gestalt einer Frau erscheinen können. Zweifelsohne wäre ich Dir auch dann gefolgt … Ich blieb versteckt hinter meinem Stein stehen und beobachtete Dich. Du wirst Dir mein Glück kaum vorstellen können, als ich am nächsten Tag wiederkam und feststellte, dass Du ein Mensch aus Fleisch und Blut bist.
    Während ich dies hier schreibe, frage ich mich, ob ich den Mut haben werde, Dir diesen Brief auch zu schicken …
    Melinda starrte auf den Bogen Papier in ihren Händen, der keine Unterschrift trug. Es hörte sich an wie ein Liebesbrief! Ihr Blick glitt zu dem Datum. August 1895! Dasselbe Jahr, in dem auch die meisten der Bilder entstanden waren. Waren die Schreiben alle von demselben Verfasser? Sie öffnete die anderen Umschläge – es war die gleiche Schrift. Doch mysteriöserweise war keiner mit Namen unterzeichnet – unter einigen stand gar nichts, unter anderen Dein Freund und später dann auch Dein Geliebter , wie sie nun sah. Die Briefe schienen alle an dieselbe Frau gerichtet, aber auch sie nannte der Unbekannte nie bei ihrem Namen.
    Melindas Augen blieben an einem weiteren Schreiben hängen. Er war im September 1895 verfasst worden.
    Meine Schöne,
    unsere Treffen erscheinen mir stets zu kurz. Die Welt ist durch Dich weiter und heller geworden … Niemals zuvor habe ich zu einem Menschen solche Nähe empfunden.
    Es hat viele Frauen in meinem Leben gegeben, das will ich Dir nicht verschweigen. Du weißt es ohnehin, oder? So wie Du alles auf Deine andere und besondere Art weißt und erspürst, ohne dass man es aussprechen muss. Es waren nicht mehr als kurzweilige Vergnügungen und verzweifelte Versuche, dem zu entfliehen, wozu mich meine Geburt bestimmt, ja, verdammt hat. Doch noch nie spürte ich solche Leidenschaft und unstillbare Sehnsucht wie mit Dir. Während ich diese Zeilen schreibe, umgibt mich der Duft Deiner Haut, und ich wünschte mir so sehr, dass Du mir eine andere Antwort gäbest als die, die ich beständig in Deinen Augen lese – dass wir die Augenblicke unseres gemeinsamen Glücks genießen und dafür dankbar sein sollen. Dass es nie mehr geben kann und wird. Doch mein Inneres verlangt es. Dabei bin gerade ich nicht in der Position, mehr zu fordern …
    Melinda ließ das Blatt in ihrer Hand sinken. Selbst nach fast sechzig Jahren hatten die Zeilen nichts von ihrer Dramatik verloren. Nachdenklich las sie den letzten Satz ein zweites Mal. Was hatte der Unbekannte damit wohl gemeint? Durch die Zeit hindurch fühlte sie sich auf eigenartige Weise von den Worten des Briefschreibers angezogen. Dem Unterton haftete etwas Pathetisches an – vermutlich entsprach das dem damaligen Zeitgeist –, aber gleichzeitig spürte man, dass die Gefühle tief und echt waren. Sie musste unwillkürlich an die wenig romantischen Briefe denken, die sie von Frank bekommen hatte.
    Die Frau auf dem Hügel war also wirklich die Geliebte dieses Mannes geworden, dachte Melinda. Sie merkte, dass sie gern mehr über das Paar gewusst hätte. Ihr Blick glitt zu einer der Zeichnungen, die nicht von den Briefen bedeckt war. Sie zeigte ein verwunschenes Stück Wald mit knorrigen, verkrüppelten alten Bäumen in einer nebligen, von Felsen durchsetzten Moorlandschaft. Für einen kurzen Augenblick konnte sie sich genau vorstellen, wie der Verfasser hinter einem der Steine stand und die Unbekannte in dem flatternden Mantel auf dem Hügel beobachtete. Wer waren er und sie wohl gewesen? 1895 – es war unwahrscheinlich,

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