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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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verstohlen zu dem Mann in der Ecke hinter ihnen wanderten. Irgendetwas stimmte hier nicht.
    Melinda drehte sich um, um den Fremden besser in Augenschein nehmen zu können. Der Mann saß im Halbdunkeln. Obwohl sie seine Gestalt nur undeutlich erkennen konnte, spürte man, dass er eindeutig nicht hierhergehörte. Es war seine Haltung, die Art, wie er lässig und ein wenig arrogant die Beine übereinandergeschlagen und sich gegen die Wand zurückgelehnt hatte. Nicht einmal seinen Mantel hatte er abgelegt. Melinda hätte wetten können, dass es sich um ein teures, maßgeschneidertes Kleidungsstück handelte. Sie fragte sich, wer er war. Erst da nahm sie den feindseligen Blick wahr, mit dem er sie musterte. Das ungute Gefühl, dass er genau wusste, wer sie war, und nur wegen ihr gekommen war, beschlich sie.
    Sie wandte hastig den Kopf ab und trank ihr Bier aus. Dabei fühlte sie die Augen des Fremden noch immer in ihrem Rücken. Sie beschloss zu zahlen. Der Abend verlief eindeutig nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte.
    Normalerweise war sie nicht schreckhaft, aber irgendetwas an dem Mann hatte sie verstört, ging es ihr durch den Kopf, als sie nach draußen trat und die frische Luft einatmete. Er hatte nicht einmal versucht, seine Feindseligkeit ihr gegenüber zu verstecken. War es, weil sie eine Deutsche war? Doch selbst Amy hatte eingeschüchtert gewirkt, erinnerte sie sich dann.
    Grübelnd lief Melinda durch die Dunkelheit in Richtung des Postbridge Inn zurück. Erst nach einigen Schritten kam ihr der Gedanke, dass der Unbekannte ihr vielleicht folgen könnte. Sie blieb stehen, doch es war nichts zu hören. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Was war nur mit ihr los?
    Das aufheulende Geräusch eines Motors ertönte hinter ihr. Als Melinda sich umwandte, sah sie entsetzt, dass ein Wagen in der Schwärze der Nacht geradewegs auf sie zubrauste. Erschrocken schrie sie auf und sprang zur Seite. Das Auto fuhr haarscharf an ihr vorbei, nur um einige Meter weiter mit quietschenden Reifen zum Stehen zu kommen und sich vor ihr quer zu stellen.
    Starr vor Schreck war Melinda stehen geblieben.
    Ein Mann stieg aus dem Wagen. Es war der Fremde aus dem Oak Inn.
    Sie versuchte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen. »Sind Sie wahnsinnig?«, fuhr sie ihn an. »Sie hätten mich umbringen können!«
    Er kam mit langsamen Schritten auf sie zu. »Nehmen Sie es als gut gemeinte Warnung«, erwiderte er, und weder sein kalter Tonfall noch seine drohende Haltung waren dazu angetan, ihre Furcht zu mildern. Das nächste Haus lag gut fünfzig Meter entfernt, und sie wich instinktiv in der Dunkelheit vor ihm zurück, bis sie mit dem Rücken gegen einen Baum stieß.
    »Ich wüsste nicht, wovor Sie mich warnen sollten«, stieß sie hervor.
    »Nein?« Er trat so dicht an sie heran, dass sie sein Gesicht in aller Deutlichkeit erkennen konnte: graue Augen, schmale, arrogante Lippen, sehr gepflegter Haarschnitt, vom Alter her in den Vierzigern – sie nahm die Details in rasender Geschwindigkeit und mit der Genauigkeit der Journalistin wahr, als würde sie ihn später in einem ihrer Artikel porträtieren müssen. Ihre Beobachtungen im Oak Inn hatten sie nicht getäuscht, seine Kleidung war teuer und maßgeschneidert. Er sah aus wie jemand, der es noch nie in seinem Leben nötig gehabt hatte, einen einzigen Handschlag zu tun. Abfällig musterte er sie in ihrem alten Wollmantel. Was um Gottes willen wollte er von ihr?
    »Hören Sie auf, hier herumzuschnüffeln und Fragen zu stellen. Meine Familie mag das nicht!«, sagte er schließlich.
    Sie starrte ihn an. Seine Familie? Ihr Herz raste noch immer vor Angst, doch plötzlich stieg eine dunkle Ahnung in ihr auf. »Vielleicht verraten Sie mir erst einmal, wer Sie sind!«
    »Henry Tennyson«, gab er herablassend zur Antwort, als würde dieser Name alles erklären. Dunkel entsann sich Melinda, dass Amy ihr letztes Wochenende erzählt hatte, die Tennysons seien die Erben von Lord Hampton.
    »Meiner Familie gehört das Anwesen von Sherwood«, sagte Tennyson in diesem Moment wie zur Bestätigung. »Es steht zum Verkauf. Und das Letzte, was wir hier wollen, ist jemand, der irgendwelche Fragen zu diesen alten Geschichten von früher stellt. Schon gar nicht eine Deutsche!«
    »Und deshalb haben Sie mich fast umgefahren und zu Tode erschreckt?« Melinda merkte, wie sich in ihre Angst ein Gefühl ohnmächtiger Wut mischte. Was bildete dieser Mensch sich ein?
    Plötzlich griff er sie schmerzhaft fest am Arm

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