Die Schwestern
Jedenfalls erweckte die blaugestrichene Tür seiner Villa diesen Eindruck.
Auf der obersten Treppenstufe stand eine junge Frau mit glänzendem, ebenholzfarbenem Haar, einem makellos weißen Kleid und
schwarzen, hochhackigen Pumps. Delia konnte ihr Gesicht vom Gehsteig aus nicht erkennen, aberdie schlanke Gestalt der Frau wurde effektvoll von dem goldenen Licht, das aus dem Flur hinter ihr auf die Straße fiel, in
Szene gesetzt. Sie war mittelgroß, und als sie kam, um Delia zu begrüßen, stellte sie fest, dass ihr Gegenüber höchst ungewöhnliche,
zarte Gesichtszüge besaß, das perfekte Ebenbild einer Geisha mit schrägstehenden Augen und einem Lächeln, das an einen Sonnenaufgang
erinnerte. Im Hinblick auf Jakes fernöstliche Herkunft verwunderte es wenig, dass die junge Frau offensichtlich aus Japan
stammte.
«Hallo, Dee. Ich heiße Elf. Jake wird noch ein bis zwei Stunden beschäftigt sein und hat mich gebeten, mich um Sie zu kümmern.»
Ihre Stimme war rauchig, passte jedoch zu ihrem reizenden Porzellangesicht. Delia stellte besorgt fest, dass Erregung in ihr
aufloderte.
«Treten Sie bitte ein», bat Elf. Kaum war Delia ein wenig näher getreten, schlang ihr Elf in einer vertraulichen Geste einen
Arm um die Taille. «Sei nicht schüchtern, Dee. Hier gibt es nichts, wovor du dich fürchten müsstest.»
Zögernd ließ sich Delia hineingeleiten, während sie aus dem Augenwinkel sah, dass die Limousine geräuschlos davonfuhr.
Wer, zum Teufel, bist du? Diese Frage hätte sie ihrer Begleiterin gern gestellt, aber sie war noch so perplex von Elfs bloßer
Anwesenheit und ihrer beruhigenden Berührung, dass die Frage sich in nichts auflöste.
Der Eingangsbereich war weitläufig und so minimalistisch eingerichtet, dass er fast schon langweilig wirkte. Delia meinte,
sich an ein Detail von Deanas Erzählung zu erinnern, und fragte sich, ob es sich um dieselbe nichtssagende Atmosphäre wie
im
Siebzehn
handelte – eine schlichte Kulisse für unglaubliche Ereignisse.
Doch als ihr Blick auf ein großes, glänzendes Gemälde am anderen Ende der Eingangshalle fiel, musste sie ihren ersten Eindruck
grundlegend revidieren.
Der schwere Rahmen war im Rokokostil gehalten, und das Bild selbst zeigte ein Paar beim Liebesakt, dessen Gliedmaßen fest
ineinander verschlungen waren, die Körper so detailliert gezeichnet, dass weder Details noch eine Wölbung ausgelassen worden
war. Und dennoch handelte es sich um ein geschmackvolles, schönes Werk. Delia wusste, dass Deana das Gemälde selbstverständlich
kommentiert hätte, aber sie selbst wagte dies nicht. Ihre kunstsinnige Schwester würde feine Nuancen in der Farbgestaltung
oder im Pinselstrich erkennen, die ihrem Auge verborgen blieben. Für Delia strahlte das Gemälde einfach nur Sex aus.
Willkommen im Lusttempel, dachte sie beunruhigt, doch als sie die breite, mit dickem Teppich ausgelegte Treppe hinaufstiegen,
fühlte sie sich schon ein wenig mehr zu Hause und war vor allem sehr neugierig auf Elf.
«Wer bist du?», fragte sie, als sie im oberen Stockwerk angekommen waren und auf eine beigefarbene Tür zugingen, die offenstand.
«Ich meine … äh, Jake hat nie erwähnt …»
«Ich denke, man kann mich seine Kammerdienerin nennen.»
Die Asiatin lächelte, und ihre Miene war offen und freundlich. «Ich kümmere mich um ihn und seine Bedürfnisse. Sorge dafür,
dass er alles hat, was er braucht …» Sie hielt inne, und als sie sich zu ihr umdrehte, war ihr Lächeln geheimnisvoll und verführerisch geworden. «Und das gilt
auch für seine Gäste. Hier entlang, Dee. Jake hat mir aufgetragen, dich zu verwöhnen.»
Delias Verwirrung kehrte zurück und war stärker als zuvor. Wenn er eine so schöne Frau wie dich haben kann, dachte sie stumm,
während Elf voranging, wofür braucht er dann noch mich?
Als sie den nächsten Raum betraten, befand sich Delia im größten Bad, das sie je gesehen hatte. Eine creme- und apricotfarben
glänzende Höhle, die gleichzeitig ein Ankleidezimmerwar, sie bot alles, was man für die Körperpflege benötigte, und allein der Nassbereich war größer als Delias gesamtes Wohnzimmer.
«Dürfte ich dir wohl beim Ausziehen helfen?», fragte Elf höflich, als sei es die normalste Sache der Welt, einen Mann zu besuchen
und sich von seiner Dienerin aus den Kleidern helfen zu lassen.
«Ähm … ja», erwiderte Delia und ließ sich aus ihren Gedanken reißen. Sie gestattete Elf, ihr die Tasche
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