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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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die den Blick erwiderte: »Das ist eine gute Zeitung«, sagte sie schließlich.
    Â»Die beste.« Der junge Mann witterte bereits den Scoop und zückte das Mikrofon.
    Iv schob es sanft beiseite und näherte ihre Lippen dem Ohr des Journalisten. »Catherine Derzhavin ist nicht tot«, flüsterte sie.
    Der junge Mann erblasste. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
    Â»Es ist an Ihnen, das zu entscheiden. Ich empfehle Ihnen jedoch, erst ein wenig zu recherchieren, bevor Sie es Ihrem Direktor mitteilen …«
    Dem Reporter blieb vor Staunen der Mund offen. »Ich werde Ihren Rat befolgen, obwohl ich das Gefühl habe, Sie nehmen mich auf den Arm …«
    Â»Ich habe noch nie jemanden auf den Arm genommen.« Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen und entfernte sich an der Seite von Florette.
    Die Kreolin schwieg eine Weile, dann platzte sie heraus: »Warum hast du ihn angelogen?«
    Iv wandte sich um, um sich zu vergewissern, dass ihnen niemand folgte. »Wo ist deine Weinbar?«
    Â»Nächste Straße.«
    Â»Gut.«
    Â»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
    Iv beschleunigte den Schritt. »Ich habe ihn aus zwei Gründen angelogen: Erstens wollte ich ihn loswerden und zweitens die Presse auf den Fall aufmerksam machen. Irgendein fähiger Journalist könnte uns auf Lenas Spur bringen. Derzhavin hat versucht, über alles Stillschweigen zu bewahren, er will Selbstjustiz üben. Aber wir müssen Lena als Erste aufspüren und das Buch der Blätter an uns nehmen.«
    In dem Lokal waren praktisch keine Gäste. Sie wählten ein etwas abseits gelegenes Tischchen. Als sie zwei Gläser Tignanello bestellten, sah sie der Kellner zerknirscht an. »Ich fürchte, den haben wir nicht«, erklärte er.
    Â»Vielleicht sollten wir etwas nicht ganz so Anspruchsvolles ins Auge fassen«, überlegte Iv.
    Â»Wir nehmen einfach irgendeinen toskanischen Rotwein«, entschied Florette.
    Der Kellner nickte und verschwand.
    Â»Erklärst du mir jetzt erst einmal, weshalb wir hier sind?«, beharrte Iv.
    Â»Wegen Yana.«
    Der Name ließ Iv zusammenzucken.
    Â»Du hast sie im Bolschoi-Theater gesehen«, fuhr Florette fort. »Sie war unglaublich mitgenommen.«
    Â»Das wäre ich auch, wenn sich die Kandidatin für meine Nachfolge so verhalten hätte wie Lena.«
    Â»Es ist nicht nur das.«
    Â»Rück schon raus«, drängte Iv nervös.
    Â»Ich schätze Yana, aber wir müssen bedenken, dass sie bereits ziemlich alt ist und ihrer Aufgabe nicht mehr lange gewachsen sein wird. So wie ich das sehe, ist sie nicht in der Lage, erneut eine Wahl zu treffen.«
    Florette hatte nicht ganz unrecht, doch es stand ihnen nicht zu, über das Schicksal einer der anderen Besten zu entscheiden. Das hatte es noch nie gegeben, und das durfte es nie geben. Das war die Grundlage des Mahls: Es galt, jegliche Form der Einmischung in die Angelegenheiten der anderen zu vermeiden. Die Schwestern waren keine Sekte, es gab weder Mittler noch große Organisationsstrukturen. Bis auf die Besten, die ausgewählt wurden, um die Lehre im Lauf der Jahrhunderte fortzuführen, bildete jede Schwester einen unabhängigen und für sich stehenden Wirkungskreis. Es gab keine Versammlungen oder wiederkehrende Rituale, und erst recht keine Zeremonien oder gemeinsam begangene Feste. Ebenso wenig galten Statuten oder Dogmen. Die Praxis, zu der eine neue Schwester angeleitet wurde, war gänzlich persönlicher Natur. Wenn sie nicht am eigenen Leib die Wirkung der Lehre spürte, geschah ganz einfach nichts weiter.
    Aus diesem Grund waren im Lauf der Jahrhunderte niemals mehr als zweihundert Schwestern gleichzeitig aktiv gewesen.
    Die hundertvierunddreißig derzeitigen Schwestern, die von den Besten ausgewählt, von den fähigsten Schwestern ausgebildet und auf die Weltbühne entlassen worden waren, hatten nur ein Ziel: die mächtigsten Männer der Erde zu verführen und ihrem Willen zu unterwerfen, um deren Entscheidungen zu lenken. Warum? Weil sie es besser konnten.
    Eine Schwester zu sein war eine rein persönliche Angelegenheit, die nichts mit Macht oder Privatinteresse zu tun hatte. Es gab ein höheres Ziel, nach dem sich alles zu richten hatte.
    So zahlten die Schülerinnen auch keine Abgaben an irgendeine Institution oder gar Mitgliedsbeiträge. Es floss kein Geld. Die finanziellen Angelegenheiten oblagen ganz dem Geschick einer

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