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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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der angebeteten Nichte über, die in ihren Augen schon bald die größte Schauspielerin aller Zeiten sein würde.
    Victoria versteckte das Heft. Sie war müde: Mittlerweile kannte sie alle Buchstaben des Ogham-Alphabets und würde vor Madame Iv nie mehr in Verlegenheit geraten.
    Was die anderen Symbole betraf, hatte Victoria lange im Internet gesucht, aber nichts herausgefunden. Symbole konnte man im Netz nicht eingeben, deshalb war es unmöglich, dort eine Antwort auf ihre Frage zu finden. Es gab zum Beispiel keine Taste, die dem stilisierten Baum unter der ersten Silbe im Lied von Amergin entsprach. Victoria hatte versucht, alle Daten zu kombinieren, aber ohne Ergebnis. Sie war auf allen möglichen Seiten von Kelten-Fans gelandet, die vermutlich mit gehörntem Helm auf dem Kopf und einem T-Shirt mit der Aufschrift: FÜR FRODO ! vor ihren Computern saßen.
    Â»Ammm … a … m … aaa … m«, sagte sie mit lauter Stimme und rief sich dabei die beiden ersten Buchstaben der Zeichenfolge ins Gedächtnis.
    Es war eine frustrierende Erfahrung. In ihrem Inneren spürte sie, dass sie den beiden Buchstaben einen falschen Klang verlieh, aber sie kam nicht dahinter, weshalb.
    Mutloser denn je trat sie ans Fenster: Vielleicht würde es ja bald einmal richtig schneien. Nicht wie in den letzten Wintern, die der Stadt nur dann und wann eine dünne weiße Puderschicht beschert hatten.
    Sie sah hinauf: Der Himmel war klar. Noch ließ der Schnee auf sich warten.
    Dann bemerkte Victoria die Gestalt einer Frau, die, eingehüllt in einen dunklen, schweren Mantel, an der Ecke stand.
    Sie beobachtete sie aufmerksam und glaubte, ein Gesicht erkennen zu können, das sie anstarrte. Victoria wollte gerade das Fenster öffnen, um zu fragen, was sie hier verloren habe, als es an die Tür klopfte.
    Es war Onkel Raymond mit seinem üblichen, entwaffnenden Lächeln. »Beehrst du uns mit deiner Gegenwart, oder bist du gerade dabei, eine Rolle einzustudieren?«
    Victoria hätte ihn rührend gefunden, wenn sie nicht soeben diese merkwürdige Gestalt gesehen hätte. »Ich komme gleich.«
    Â»Das ist schön! Wir müssen dir von unserer letzten Dienstreise in die Toskana erzählen, ein Paradies, das auch du und deine Freundin Briana, wenn ihr Lust habt, besuchen könntet … natürlich umsonst.«
    Victoria lächelte. Der Onkel verwöhnte sie wie immer, auch wenn ihre Mutter ihm das hin und wieder zum Vorwurf machte.
    Â»Lasst mir noch einen kleinen Augenblick und … natürlich will ich alles ganz genau wissen!«
    Â»Na hör mal!« Der Onkel tat beleidigt. »Wann habe ich dir jemals irgendwelche Details vorenthalten? Ab heute bist du nicht mehr meine Lieblingsnichte.«
    Victoria musste lachen: »Ich bin deine einzige Nichte, lieber Onkel!«
    Dann räumte sie den Schreibtisch auf, schaltete den Computer aus und warf noch einen Blick aus dem Fenster. Die Frau war verschwunden.

16
    Moskau, Villa Derzhavin
Samstag, 25. Dezember, 14.10 Uhr
    Nastasja Dudarova konnte ihre Erregung nicht verbergen. Es war mindestens das zehnte Mal, dass sie dieses Haus betrat, aber sie fühlte sich noch immer unwohl. Trotz all ihrer Bemühungen hatte ihr Kunde, Gavril Derzhavin, sie nie eines Blickes gewürdigt. Nicht dass er sie schlecht behandelte, im Gegenteil, aber er gab ihr jedes Mal das Gefühl, bloß ein Instrument zu sein, einen Zweck zu erfüllen, und sonst nichts.
    Während sie sich auszog, um vor der Behandlung zu duschen, dachte sie darüber nach, dass Russland sich sehr verändert hatte. Gewiss, in den letzten Jahren war die Zahl der Masseusen in Moskau angestiegen wie an keinem anderen Ort der Welt. Aber die meisten waren nur zum Schein Masseusen. Sie nicht, sie war es tatsächlich, und sie hatte ein strenges Auswahlverfahren mit Bravour überstanden. Nun war sie in einem der angesehensten Wellness-Center von Moskau als Masseuse und Physiotherapeutin angestellt. Zu ihren zahlungskräftigen Kunden gehörte auch Derzhavin. Sein Gesicht hatte sie oft in den Zeitungen gesehen, das letzte Mal nur einen Tag zuvor, im Zusammenhang mit dem Tod seiner Frau. Wenn sie in wenigen Minuten mit der Massage beginnen würde, war er vermutlich noch verspannter als sonst.
    Auf Anweisung von Borimir, dem imposanten Butler dieses prächtigen Domizils, hatte man ihr wie immer eine eigene Hausangestellte zur Seite gestellt. Allerdings

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