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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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war es praktisch nie dieselbe − offenbar um die Entstehung eines Vertrauensverhältnisses zu verhindern. Gerade half sie Nastasja in einen weißen Bademantel. Sie hatte ihr ein Handtuch, ein paar elegante Dianetten und einen blauen Kittel bereitgelegt. Baumwollvelours, Kokosfaser, ägyptisches Leinen. Und alles duftete nach Lavendel. Während sich Nastasja das Haar föhnte, betrachtete sie sich im Spiegel, um den hübschen, naturblonden Pagenkopf zurechtzuzupfen. Dann holte sie, unter dem wachsamen Blick der Hausangestellten, die jeden ihrer Handgriffe beobachtete, das Schminktäschchen hervor und legte rasch etwas Wimperntusche und einen Hauch Rouge auf. Anschließend zog sie den Bademantel aus und warf ihn in einen Korb. Die Hausangestellte reichte ihr den Kittel. Nastasja schlüpfte in die Dianetten, trat vor den großen Wandspiegel am Ende der Umkleide, zog den Kittel über und betrachtete sich kurz: Sie fand sich hübsch in dieser kleinen hellblauen Tunika, die so gut zu ihren Augen passte.
    Ein letztes Glattstreichen der Brustabnäher, und sie war bereit: Sie atmete tief durch und öffnete, auf ein Zeichen der Hausangestellten, die Tür mit der Aufschrift GYMNASION . Mittlerweile kannte sie diese in hellen Grüntönen gehaltene, weite, geräumige Halle gut. Es gab keine Fenster, sondern nur kleine, gekonnt angeordnete und auf die gewölbte Decke gerichtete Strahler. Sie verbreiteten ein weiches, angenehmes Licht, wie ein Sonnenaufgang, über Laufbändern, Hometrainern, Sprossenwänden und Hanteln. In der Mitte des Raumes lag ihr Kunde reglos und, bis auf ein um die Hüften geschlungenes Handtuch, vollkommen unbekleidet auf einer Liege. Er sprach, obwohl er allein war. Nastasja blieb stehen.
    Â»Ich brauche euch Polizisten nicht, um zu wissen, dass es kein Unfall war.«
    Erst jetzt bemerkte Nastasja im linken Ohr des Mannes ein winziges, beinahe durchsichtiges Bluetooth-Headset.
    Seine Stimme klang leise und gebieterisch: »Das ist keine Bitte, Fëdor. Es ist ein Befehl. Ihr werdet den Fall offiziell beenden. Erledigt euren Papierkram und legt das Ganze als Unfall zu den Akten. Um den Rest kümmere ich mich.«
    Es entstand eine Pause. Nastasja sah, dass er sich kaum merklich umwandte. Ihre Blicke trafen sich, und sie lächelte, aber Derzhavin schien wie immer weit weg. Nastasja biss sich auf die Lippen: Die meisten ihrer Kunden konnten die Augen nicht von ihr abwenden. Er bedachte sie lediglich mit einem Kopfnicken, und sie trat näher.
    Â»Gut, Fëdor. Ich wusste, dass du begreifen würdest … Ach, übrigens habe ich noch eine Aufgabe für dich als Polizisten: Such mir den Regisseur. Ja … genau … ich möchte gerne mit ihm reden … nur so unter vier Augen, über die russische Nouvelle Vague … bis dann, Fëdor.«
    Derzhavin berührte den Apparat, um das Telefonat zu beenden.
    Â»Du kannst anfangen«, befahl er Nastasja.
    Sie gehorchte und massierte den mit Tätowierungen übersäten Körper und Rücken eine halbe Stunde lang absolut schweigend, bis ein leises Summen die Stille unterbrach. Derzhavin drückte einen Knopf unter der Liege, und zu seiner Rechten leuchtete ein Flüssigkristall-Bildschirm auf. Das undurchdringliche Gesicht Borimirs erschien. »Entschuldigen Sie die Störung, Herr, aber Madame Lena Leskov ist gekommen und fragt nach Ihnen.«
    Â»Schick sie her. Danke.«
    Nastasja hatte unterdessen, in der vergeblichen Hoffnung, sich bemerkbar zu machen, erneut begonnen, ihn zu massieren.
    Eine Minute später kam, ohne anzuklopfen, eine Frau herein, und Gavril hob die Hand, um Nastasja Einhalt zu gebieten. Reglos und in Erwartung weiterer Anweisungen warf die Masseuse der Person, bei der es sich um Lena Leskov handeln musste, einen Blick zu. Hatte sie sich bisher nur unwohl gefühlt, so kam sie sich nun vollkommen fehl am Platz vor. Die Frau, die soeben den Raum betreten hatte, war der Inbegriff der Faszination, natürliche Schönheit, dezente Eleganz und ein Gang, aus dem mehr als bloße Anmut sprach, es war angeborene Klasse. Nastasja verspürte plötzlich Eifersucht, die umso heftiger wurde, als sie Derzhavins Blick sah: Es gab keinen Zweifel an der Art der Beziehung, die die beiden miteinander verband.
    Â»Guten Tag, Gavril …«, begrüßte ihn Lena. Selbst die Stimme schien auf ihre Schönheit abgestimmt zu sein. Dann wandte sie sich an

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