Die Schwesternschaft
ausgewählt hatte, die bei Gavril angestellt waren. Sie würden es mit jedem Gegner aufnehmen.
Kirill trug dieselbe Ausrüstung wie die Ukrainer: Sie entsprach eher der einer Anti-Terror-Einheit als der einer Kampftruppe. Nur die AK 47, die er zwischen den Beinen hielt, unterschied ihn von den anderen, die alle mit M16-A2-Maschinenpistolen und M203-Granatwerfern bewaffnet waren. Die restliche Ausstattung war dieselbe: eine Browning-High-Power-Automatik-Pistole mit 20-Schuss-Magazin sowie Blendgranaten vom Typ Haley & Weller E182.
Eigentlich war Kirill beinahe sicher, keinen einzigen Schuss abfeuern zu müssen. Igor würde Anabah erreichen, und sie würden in aller Ruhe landen. Keiner würde den Hubschrauber angreifen. Selbst die entlegensten Clans des Tals, die nichts von dem Geld der Osobyj Air abbekommen hatten, blieben einem Flugzeug, das Verletzte transportierte, normalerweise fern. Sie würden Nadja einladen und sofort wieder abfliegen.
Die Vorräte für die Engländer würden sie dort lassen und dann zum Ausgangspunkt zurückkehren, nach Termiz, an der Grenze von Usbekistan, von wo aus sie mit Gavrils Falcon 2000 EX innerhalb kürzester Zeit zurück in Moskau wären. Wenn alles gut ging, konnte Nadja ihren Vater in nicht einmal vierundzwanzig Stunden wieder in die Arme schlieÃen.
Dieser Gedanke lieà Kirills Blick zum Chronografen wandern: Es war 18.01 Uhr. Sie mussten kurz vor dem Ziel sein. Seine Vermutung wurde bestätigt, als er merkte, dass der Hubschrauber allmählich die Geschwindigkeit drosselte. Er erhob sich, durchquerte den Laderaum und erreichte die Tür zum Cockpit. Dort waren, auÃer Igor und dem Kopiloten, noch der Bord-Offizier und der Funker, der gerade auf einem Kanal in ein lebhaftes Gespräch verwickelt war. Kirill hörte zu. Offenbar gab es Probleme: Der kleine Hubschrauberlandeplatz neben dem Krankenhaus von Anabah war für einen Koloss wie die MI-26 nicht geeignet. Kirill trat hinter Igor und sah aus dem Cockpitfenster. Eine kahle, von Bergen umgebene Ebene: Fels, Sand und schmutziger Schnee. Auch die Häuser waren erdfarben. Ein ununterscheidbares Kontinuum von Brauntönen.
»Suche eine möglichst weite Freifläche für die Landung«, befahl er Igor. »Zum Krankenhaus kommen wir auch so.«
Igor nickte, ohne sich umzudrehen.
Kirill kehrte in den Laderaum zurück und näherte sich einer riesigen, mit einem Tarnnetz bedeckten Verpackung. Er gab Taras, dem Chef der Ukrainer und Freund aus Armee-zeiten, ein Zeichen, woraufhin dieser mit ein paar Männern herbeieilte. Gemeinsam lösten sie das Seil, das durch die unteren Ãsen des Netzes gezogen war: Darunter verbarg sich ein Krankentransporter des Roten Halbmondes.
15
London, zu Hause bei Victoria Price
Samstag, 25. Dezember, 14.50 Uhr
» AMHAIRGHIN oder: die Geburt des Liedes«, las Victoria auf einer Webseite für Liebhaber des Altgälischen.
Madame hatte ihren Unterricht offenbar ziemlich weit gefasst: Es ging hier um die Frühgeschichte ihrer Sprache, die im Lauf der Jahrhunderte von unzähligen Völkern weiterentwickelt worden war.
Victoria hielt das prosodische Ãbungsheft in der Hand, als sei es ein Fremdkörper. Sie musste das alles lernen. Schön, aber wie lange würde das dauern? Bei dem Arbeitsaufwand, der sich abzeichnete, würde sie Jahre brauchen. Und sie war bereits einundzwanzig. Wann würde sie damit fertig sein?
Sie hatte sich das Lied von Amergin auf Gälisch ausgedruckt und es am Tag zuvor, direkt nach dem Unterricht, stundenlang daheim wiederholt, um es sich einzuprägen.
Das hatte sie auch heute Morgen getan und das Heft schlieÃlich erschöpft zugeschlagen. Jetzt musste sie sich ihrer Familie widmen. Alle waren bei ihrer Mutter zu Besuch, um zu feiern: die GroÃeltern mütterlicherseits und die beiden gesprächigen Onkel, die sie über alles liebten und sie mit Aufmerksamkeiten überschütteten.
Das Weihnachtsfest wurde jedes Mal zu einem Ereignis, bei dem der Name Craig â so hieà Victorias Vater â durch ein ungeschriebenes Gesetz verbannt zu sein schien. Alle aÃen gemeinsam und unterhielten sich über harmlose Themen. Man lauschte den jüngsten Abenteuern von Onkel Bret und Onkel Raymond, die auf der Suche nach neuen Hotels, mit denen ihre Luxus-Reiseagentur kooperieren könnte, ständig in der Welt herumreisten. Dann ging man zu den Fragen nach der Zukunft
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