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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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überflogen und dann Kurs nach Südosten, in Richtung Pandschir-Tal, genommen.
    Korova , die Kuh, war in Russland der gängige Spitzname für die MI -26. Mit diesem leistungsstarken Transporthubschrauber war Kirill bereits mindestens ein Dutzend Mal geflogen, seit man ihn 1984, als gerade 18-Jährigen, in die 40. Armee − die sowjetische Spezialeinheit für Afghanistan − eingeteilt hatte. Kirill saß mit dem Rücken an die kalte Stahlwand des Laderaums gelehnt, über dem Kopf der Lärm des gewaltigen Propellers mit seinen acht je sechzehn Meter langen Rotorblättern.
    Der Sibirier hatte bis 1989 in Afghanistan gekämpft, bis zum Abzug der sowjetischen Truppen und einer Bilanz von vierzehntausend toten und Zehntausenden verletzten russischen Soldaten. Was die Afghanen betraf, sprach man offiziell von einer Million Gefallenen und weiteren vier Millionen Opfern von Kriegsfolgen. Im Februar 1989 war Kirill mit dem Dienstgrad des Korporals, mit einer fünfzackigen Medaille − dem Goldenen Stern zweiter Klasse − und mit der Überzeugung nach Moskau zurückgekehrt, dass nicht die Soldaten der Roten Armee, sondern die Politiker im Kreml verloren hatten.
    Er hatte jedoch beschlossen, nie wieder über diesen Krieg zu sprechen. Als ihn Gavril viele Jahre später einstellte und wissen wollte, was für ihn die erhebendste Kriegserinnerung sei, hatte Kirill mit seiner rauen Stimme nur knapp geantwortet: »Der Tag der Rückkehr.«
    Nun hatte er ein anderes, weniger patriotisches, aber sehr viel realistischeres Bild vom Krieg: Es ging um das zweitwichtigste Geschäft weltweit, direkt nach dem Öl und direkt vor den Drogen. Und auf dem internationalen Kampfschauplatz waren stets alle drei miteinander verwoben.
    Die MI -26, mit der Kirill gerade flog, war nur eines von zahlreichen Beispielen für diese Dreieckskonstellation. Es handelte sich um eines der unzähligen Luftfahrzeuge von Fluggesellschaften der Russischen Föderation oder aus Ländern der ehemaligen sowjetischen Einflusssphäre, die sich um die Versorgung der ISAF -Truppen, in diesem Fall um englische Soldaten, kümmerten. Die Abhängigkeit der British Army von Gesellschaften wie der russischen Vertical-T oder der moldawischen Pecotax Air war kein Geheimnis mehr: In ein paar Fällen, in denen eines dieser Flugzeuge von den Taliban abgeschossen wurde, war es selbst im Oberhaus zu hitzigen Diskussionen gekommen. Doch schon nach wenigen Wochen hatten die beteiligten Interessengruppen diese geschickt abgeschwächt und schließlich ganz zum Verstummen gebracht.
    Der Hubschrauber war von der englischen Militärführung für den Transport von Verpflegung gechartert worden. Offiziell gehörte er einer Mantelfirma, der kanadischen Fluggesellschaft Skydaik, der man 2004, nach vorangegangenen Kontroversen mit der UNO − ihrem wichtigsten Kunden − auf internationales Betreiben die Lizenz entzogen hatte. In Wahrheit gehörte der Hubschrauber der russischen Gesellschaft Osobyj Air, die in zweifelhafte Geschäfte zwischen Europa und dem afrikanischen Gebiet der Großen Seen verwickelt gewesen war und die man deshalb 2007 aus dem Luftraum der Europäischen Union verbannt hatte.
    Der Hubschrauber war weiß lackiert, mit einem großen roten Halbmond, dem Äquivalent zum westlichen Roten Kreuz, auf dem Rumpf. Das Kennzeichen RRT-INDS verwies auf die humanitäre Mission. Das war keine absolute Garantie, denn manchmal wurden auch Flugzeuge mit Hilfsgütern für die Bevölkerung abgeschossen.
    Kirill spürte in seinem Inneren die Dämonen der Unruhe − Vurdalak und Upyri − erwachen. Um sie zum Schweigen zu bringen, sagte er sich immer wieder, dass die Taliban in diesem Gebiet von der Osobyj Air hinreichend geschmiert waren, und zwar mit denselben amerikanischen Dollars, mit denen sie 1996 an die Macht gekommen waren und die 2001 zu ihrer Niederwerfung verwendet wurden.
    Das Kommando über die MI -26 hatte Igor Severjanin, ein alter Kamerad Kirills aus den Zeiten der Roten Armee, der nun als Contractor, als Angestellter eines privaten Sicherheits- und Militärunternehmens, arbeitete und ein saftiges Gehalt aus den Kassen der Königin bezog. In dem großen Laderaum des Hubschraubers befanden sich, außer achtzehn Tonnen Proviant für die Engländer, auch zehn ukrainische Söldner, die Kirill persönlich aus den über zweihundert Leuten

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