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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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drang, zusammen mit dem Zigarettenrauch des MUR -Agenten, in die Belüftungskanäle, die sich an den drei vorgesehenen Punkten verzweigten.
    Als das letzte schwache Geräusch bis zur Straße drang, schien lediglich ein Barsoi mit langem weißen Fell etwas zu hören. Er hielt inne und setzte zum Bellen an. Das reiche Frauchen zog an der Leine, und selbst der letzte Zeuge verlor das Interesse an dem leisen Widerhall jenes unsagbaren Schmerzes.

27
    Moskau, Villa Derzhavin
Dienstag, 28. Dezember, 14.30 Uhr
    Im Gegensatz zu allen anderen Zimmern der Villa Derzhavin war das Geheimbüro − wie das Dienstpersonal es nannte − spärlich und funktional eingerichtet. Es war der einzige Raum, in dem keine Technologie zugelassen war: weder Telefone noch Bildschirme noch Überwachungskameras. Das Geheimbüro war eine Art Reflexionsraum, ein Ort, an dem sich Gavril vollständig von der Außenwelt zurückziehen konnte. Keiner seiner berühmten Gäste hatte jemals einen Fuß dort hineingesetzt. Nicht einmal Nadja hatte Zutritt zu diesem Heiligtum. Nur eine Person durfte es betreten. Und die war Kirill Rotchko.
    Der Sibirier holte den mechatronischen Schlüssel aus der Jackeninnentasche. Es existierte lediglich ein weiteres Exemplar, das sich in Gavrils Besitz befand. Es war unmöglich, ihn nachzubilden, und die taugliche Software, mit der er erstellt worden war, wurde in eben jenem Raum aufbewahrt. Wenn die beiden Schlüssel verloren gingen, würde man die gepanzerte Tür aufbrechen müssen. Vier je zehn Zentimeter dicke Stahlplatten, die Tresore vieler Banken waren weniger gut gesichert.
    Als Kirill den Schlüssel ins Schloss steckte, wurde er von einem Schaudern ergriffen. Wie sollte er seinen Verdacht ohne Beweise vorbringen? Leider waren Glebovs Aussagen, kurz vor seinem Tod, nur lückenhaft gewesen.
    Er öffnete die Tür. Gavril saß an seinem Schreibtisch, einem einfachen, schmucklosen Nussbaumtisch. Das Büro hatte keine Fenster und wurde permanent von einer zentralen Neonlampe erhellt. Die rechte Wand war von einem Metallregal verdeckt, das mit alten, auf den Rücken bekritzelten Akten vollgestopft war.
    Â»Da bist du ja, Kirill. Komm rein.«
    Kaum hatte der Sibirier die Tür hinter sich geschlossen, waren alle Geräusche der Villa verschwunden. Das hier war eine andere Welt.
    Â»Wie ist es bei Fëdor gelaufen?«, fragte Gavril ruhig.
    Â»Glebov hat geredet.«
    Gavril nahm eine noch ungeöffnete Flasche Wodka und zwei kleine Gläser aus der Minibar. Kirill erkannte sofort das Grün der Flasche und des Etiketts. Es war keine der üblichen teuren Marken, die Gavril seinen Gästen anbot. Dieser Wodka hatte den Beigeschmack der Erinnerung: ein Russkaja Vodka aus der Sowjetzeit. Ein Gebräu für ein paar Rubel, das seit Jahren nicht mehr im Handel war.
    Â»Wie oft bist du schon hier drin gewesen, Kirill?«, erkundigte sich Gavril, während er die Flasche öffnete und daran roch.
    Â»So oft Sie mich gerufen haben, Mister Derzhavin.«
    Â»Und das heißt?«
    Â»Ein Dutzend Mal, würde ich sagen.«
    Â»Hast du dich eigentlich jemals gefragt, warum es dieses Zimmer gibt?« Gavril füllte die beiden Gläser, reichte eins dem Sibirier und kippte seines in einem Zug hinunter.
    Â»Um ungestört zu sein?«, überlegte Kirill, während er ebenfalls trank.
    Â»Erinnerst du dich noch an den Geschmack der staatlichen Brennereien?«, fragte Gavril lächelnd.
    Kirill betrachtete das Etikett: 1975. Ein ziemlich herber Geschmack, aber alles in allem hatte er schon Schlimmeres getrunken. Doch dieser Schluck hatte alte Erinnerungen in ihm geweckt, und er spürte, wie Vurdalak, der Bessere seiner beiden Dämonen, ihm auf den Magen drückte, um sich in unbändiger Gier an jenem Trank zu laben.
    Â»Das, was du ringsum siehst«, nahm Gavril den Faden wieder auf, wobei er auf das Zimmer deutete, »ist die exakte Nachbildung meines Büros in Uchta, wo alles begonnen hat. Ja, vielleicht ist es hier nicht ganz so feucht wie an jenem unsäglichen Ort, aber alles ist original, selbst die Akten im Regal.«
    Kirill sah ihn zerstreut an.
    Â»Du wirst dich fragen, was sie enthalten«, sagte Gavril, während er nochmals die Gläser füllte.
    Der Sibirier hob die Schultern.
    Gavril lächelte erneut: »Ich habe nicht den blassesten Schimmer. Ich habe sie nie aufgeschlagen. Sie sind von meinem

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