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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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lange nicht mehr zurückgegriffen hatte: »Du musst die wahre Schuld hinter der vermeintlichen Wut verbergen. Auf diese Weise lässt sich ein Mann besser als durch alles andere täuschen.«
    So griff sie nach dem erstbesten Gegenstand, der ihr unterkam − eine kostbare Baccarat-Vase auf dem Ecktischchen −, und schmetterte ihn zu Boden.
    Â»Vertraust du mir nicht mehr?«, schrie sie.
    Gavril nahm seelenruhig einen langen Zug an seiner Zigarre, kostete ihn genüsslich aus und stieß eine dicke Rauchwolke aus.
    Â»Eine halbe Million Rubel«, bemerkte er nur, wobei er auf die zerbrochene Vase deutete. »Aber ich habe in jüngster Zeit weitaus Kostbareres verloren. Komm und setz dich«, bat er sie dann.
    Der Musiksaal war eine der schönsten Räumlichkeiten der Villa: zwei parallel gelegene, durch vier Mittelsäulen voneinander getrennte Raumhälften. An der Rückwand der ersten, in der sich Lena und Gavril aufhielten, befand sich ein Kamin aus weißem Marmor mit einem karminroten Flachrelief, auf dem Flötenspielerinnen dargestellt waren. An der gegenüberliegenden Wand hing ein großes Gemälde einer französischen Malerschule, das Bild einer jungen, Spinett spielenden Frau. Darunter standen drei mit bordeauxrotem Leder bezogene Sofas um einen flachen Nussbaumtisch. Gavril saß auf dem Sofa in der Mitte.
    Die zweite Saalhälfte war ganz anders eingerichtet: eine Bang-&-Olufsen-Musikanlage, die um eine Freifläche mit nichts weiter als einer Chaiselongue Le Corbusier angeordnet war. An der Längsseite befand sich ein mit Gläsern vollgestopfter, offener Hängeschrank in ultramodernem Design. Lena trat entschlossen darauf zu. Sie nahm einen Tumbler zur Hand und öffnete dann das einzige Türchen, auf dem ein Bronzeschild mit der berühmten Mahnung prangte: WODKA IST KLAR, ABER ER RÖTET DIR DIE NASE UND SCHWÄRZT DEINEN RUF.
    Dahinter befand sich die Minibar. Lena ließ den Roederer Cristal stehen − es war wirklich nicht der passende Anlass − und griff nach dem Wodka. Sie schenkte sich ein halbes Glas ein und nahm dann schräg gegenüber von Gavril Platz.
    Er rauchte noch immer, wobei er ein Tellerchen aus hauchzartem, handbemaltem chinesischen Porzellan als Aschenbecher benutzte. »Es geschehen merkwürdige Dinge«, begann er ernst. »Dinge, von denen ich nicht weiß … ob ich sie mit der nötigen Unvoreingenommenheit … zu deuten vermag.«
    Lena zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck Wodka. Die Schachpartie hatte begonnen. Sie hatte aggressiv eröffnet. Gavril schien dagegen jede Möglichkeit abzuwägen und setzte ganz klassisch auf Gelassenheit. Jetzt noch einen weiteren kostbaren Gegenstand zu zerstören hätte nichts gebracht.
    Â»Wovon sprechen wir eigentlich?«, fragte sie beiläufig.
    Gavril nahm einen weiteren Zug an seiner Zigarre. »Lass uns erst einmal anstoßen …«, schlug er vor.
    Er prostete Lena zu, die es ihm gleichtun musste, und sagte langsam: »Auf unsere Feinde!«
    Â»Auf unsere Feinde!«, wiederholte sie.
    Dann tranken beide einen Schluck. Das Spiel ging weiter.
    Â»Du möchtest wissen, worüber wir sprechen?«, nahm Gavril den Faden wieder auf. »Nun, ganz einfach: Wir sprechen über Liebe.«
    Lena konnte ihre Überraschung nicht verbergen.
    Â»Ja«, fuhr er in ernstem Ton fort. Ȇber Liebe. Die Liebe eines Mannes zu seiner Frau. Die Liebe eines Vaters zu seiner Tochter. Aber vor allem die Liebe, die ein Geliebter für seine Geliebte empfindet.« Er hob den Blick und sah Lena an.
    Sie wusste nicht recht, welche Miene sie aufsetzen sollte: Nur wenige Male im Leben hatte sie sich in einer derartigen Situation befunden. Es war, als hätte man ihre Dame geschlagen.
    Â»Ich bin sehr viel schlechter als der durchschnittliche Mann«, begann Gavril wieder, »aber ich bin auch sehr viel besser.« Er nahm einen weiteren Zug. »Ich mache schmutzige Geschäfte. Aber während ich sie mache, bin ich aufrichtig . Wenn Gavril Derzhavin jemandem etwas verspricht, weiß dieser Jemand, dass das Versprechen um jeden Preis gehalten wird. Was ich jedoch nicht leiden kann, sind Betrüger. Und wenn ich sie entdecke, vernichte ich sie.«
    Er sah zu Lena auf, die lediglich nickte, dann drückte er die Zigarre auf dem Tellerchen aus, und sie nutzte die Gelegenheit, um einen großen Schluck Wodka zu nehmen.
    Â»Ich

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