Die Schwingen des Todes
uns einmal ausführlich unterhalten müssen.«
»Okay, ich erzähl dir dann alles, was ich weiß. Von A bis Z, Randy.«
»Ich mag den Kerl. Und er ist mein einziger Bruder. Und dich kann ich auch ganz gut leiden.«
»Ich mach schon keine Dummheiten.«
»Dein Wort in Gottes Ohr.« Randy machte eine Pause und sagte dann, diesmal entschlossen: »Okay. Okay, ich decke dich. Ich muss sowieso mit Pete reden. Er hat mich um ein paar Infos gebeten, und morgen früh hab ich vielleicht Neuigkeiten für ihn.«
»Er hat dich angerufen?« »Ja, vor ein paar Tagen.«
»Was wollte er wissen?«
»Das kann ich dir nicht sagen, Rina. Aber überleg dir bitte ganz genau, was du da tust, denn rechtlich gesehen bin ich Hannahs Vormund. Und möchtet ihr etwa, dass ich eure Tochter erziehe, wenn euch etwas zustößt?«
Randy hatte schon Ehefrau Nummer vier, und das war natürlich ein schlagkräftiges Argument.
»Trotzdem bist du ein feiner Mensch.«
»Kann sein, Schwägerin, aber wir haben nicht ganz denselben Stil, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Die Botschaft ist angekommen, vielen Dank.«
»Ich werde mich viel besser fühlen, wenn du dich persönlich bei mir bedankst.«
Kurz vor Mitternacht kam sie wieder in Manhattan an. Zu ihrer großen Überraschung benötigte sie nur zwanzig Minuten bis in den Norden und war erstaunt, wie schnell man die Stadt ohne den störenden Berufsverkehr durchqueren konnte. Sie stieg allerdings nicht sofort aus Sora Lazarus' altem Honda, sondern blieb noch einen Moment sitzen und starrte das Haus an. Sie musste handeln, und die Zeit war knapp. Schließlich brachte sie genug Mut auf auszusteigen, und rannte dann hinüber zur Eingangshalle des Gebäudes.
Donattis Name war nirgends zu finden.
Entweder stand er nicht auf dem Klingelschild, oder sie hatte die falsche Hausnummer. Es war natürlich schon viel zu spät, um aufs Geratewohl Klingelknöpfe zu drücken, aber da sie schon einmal hier war, wollte sie sich auch nicht gleich geschlagen geben. Da der vierte und fünfte Stock von einem einzigen Mieter namens MMO bezogen war, ging sie davon aus, dass ihre Chancen dort am größten waren. Doch noch bevor sie den Knopf drücken konnte, gab die Tür ein entnervendes Summen von sich. Sie trat ein und ging zum Aufzug. Doch wohin jetzt? Nicht der geringste Hinweis. Er würde sie holen kommen.
So war es auch - mit tief eingefallenen Augen, bleichen Lippen und geröteter, aber gleichzeitig wächsern wirkender Haut kam er ihr entgegen. Er trug eine schwarze Jogginghose und ein weit geschnittenes weißes T-Shirt und ging barfuß. Er winkte ihr, ihm zu folgen. Die Fahrt nach oben dauerte ewig. Beim Verlassen des Aufzugs legte er den Finger auf die Lippen und führte sie durch einen Vorraum mit Metalldetektor. Als Rina ihn auslöste, winkte er sie rasch weiter durch eine Tür in einen geräumigen Loft. Ein Durcheinander von Glassplittern und verbogenem Metall nahm den größten Teil der Raummitte ein. Der rechte Teil stand voller Fotozubehör, und die linke Wand bestand hauptsächlich aus drei Türen. Eine davon öffnete er, trat zur Seite und ließ sie als Erste eintreten.
Er verriegelte die Tür und drückte ein paar Schalter. Einige Lichter gingen an und beleuchteten ein Bild, das in allen Farben des Regenbogens schillerte; dann setzte sich ein Deckenventilator in Bewegung. Auf Videomonitoren konnte man verschiedene Ausschnitte aus der Umgebung des Gebäudes sehen. Der Mann überließ nichts dem Zufall.
Er setzte sich, und sie folgte seinem Beispiel. Sie war viel nervöser, als sie gedacht hatte.
»Ich hab nur eine Frage.«
Donatti wartete.
»Wissen Sie, wer Peter verletzt hat?« Er starrte sie an und schwieg. »Waren Sie es?« Noch immer keine Antwort.
»Haben Sie meinen Mann geschlagen?«, wollte Rina wissen. Er lächelt schwach. »Mea culpa.«
Rina sank in ihren Sessel zurück. Tränen rollten ihr über die Wangen. »Gott sei Dank!« Die Erleichterung war ihr anzusehen. »Und ich dachte, jemand wollte ihn umbringen!«
»Vielleicht stimmt das sogar.« Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab: »Und vielleicht war ich es ja.«
»So ein Quatsch!«, widersprach Rina. »Warum hätten Sie ihn dann laufen lassen? Und warum mich?«
»Ich hab eben ein Faible für Psychospielchen.« Er starrte sie an.
Sie spürte, wie ihr plötzlich ganz heiß wurde. »Ich hab Sie aus dem Bett geholt«, entschuldigte sie sich.
»Ach was, ich war noch wach.«
Erst jetzt bemerkte sie, wie mitgenommen er aussah.
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