Die Schwingen des Todes
Polizei zusammengearbeitet. Ich hab Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Und jetzt kommen Sie und belästigen mich an meinem Arbeitsplatz. Wissen Sie, was passiert, wenn mein Boss von meinen Problemen erfährt?«
Deckers Miene blieb ausdruckslos. »Warum sollte er denken, ich wär etwas anderes als ein Kunde? Beruhigen Sie sich, wir suchen uns einen Ort zum Reden.«
Schnitman sah auf die Uhr. »In zwanzig Minuten habe ich eine Verabredung zum Essen. Ich wollte gerade weg.«
»Kein Problem. Wir können uns auf dem Weg dahin unterhalten.«
»Warten Sie hier. Ich hole meinen Mantel.«
Knapp eine Minute später war er wieder zurück. Schweigend fuhren sie nach unten. Decker folgte dem jungen Chassid, der a uf der Straße nach links bog und mit den Händen auf dem Rücken, wehendem Mantel und Schläfenlocken rasch dahinschritt. An der 48. Straße bog Schnitman nach rechts ab.
»Wenn Sie nicht langsamer gehen, können wir nicht reden, und Sie werden mich nicht los«, sagte Decker.
Schnitman blieb vor dem Fleet Building stehen, lehnte sich an die Scheibe und starrte auf seine blank geputzten schwarzen Schuhe.
»Wo treffen Sie sich mit dem Kunden?«, fragte Decker.
»Den Kunden. Auf der 53., Ecke Second Avenue. Es sind Japaner, deshalb hatte mein genialer Boss die Idee, ich sollte mit ihnen in dieses koschere japanische Restaurant gehen. Es ist nicht schlecht, aber es kommt mir so vor, als ob man Eulen nach Athen trägt. Bestimmt wäre ihnen ein Deli lieber gewesen.«
»Sie haben sicher Recht.«
»Was wollen Sie, Lieutenant?«
»Sie sagten, Ephraim wäre nervös gewesen, kurz bevor er ermordet wurde. Irgendeine Ahnung, warum?«
»Nein.«
»Sagen Sie das noch mal, Schnitman, und schauen Sie mir dabei in die Augen.« Der Chassid sah weg.
Decker packte ihn am Arm und hielt ihn fest. »Hören Sie, Ari, ich verstehe, dass Sie der Polizei nicht viel erzählen wollen, weil es vielleicht die Aufmerksamkeit auf Ihre geheime Organisation lenkt.«
»Es ist keine geheime Organisation«, erwiderte er gereizt. »Wir möchten nur so anonym wie möglich bleiben, sonst kommen die Leute nicht, die Hilfe brauchen. Glauben Sie mir, es ist schon so schwer genug, ohne dass die Cops in unseren Angelegenheiten rumschnüffeln.«
»Deshalb sollten Sie mich unterstützen. Bis jetzt ist es eine Sache zwischen uns beiden, und vielleicht kann ich Ihnen helfen. Wenn Sie mich wegschicken, wird die New Yorker Polizei wiederkommen. «
Schnitman fuhr sich über Gesicht und Bart. »Also gut, es war so: Ephraim hat nicht mit mir gesprochen, aber mit jemand anderem aus der Gruppe - seiner Vertrauensperson. Ich hab Ihnen das nicht gleich gesagt, weil ich es erst gestern Abend bei unserem wöchentlichen Treffen erfahren habe. Fragen Sie mich nicht nach dem Namen, ich werde ihn nicht sagen. Sie können mir mit Aufdeckung, öffentlicher Schande, Gefängnis oder sonst was drohen, aber ich werde unter keinen Umständen die Schweigepflicht verletzen und Ihnen einen Namen nennen.«
»Sie sind weder Anwalt noch Arzt oder Geistlicher.«
»Ich hab die Semicha, also bin ich technisch gesehen zum Rabbi ordiniert. Ich werde mich an die Schweigepflicht halten, wenn ich es als nötig erachte.«
Decker sah sich um. Scharen von Leuten in dunklen Mänteln eilten die Straßen entlang; ihre Schals flatterten wie Fahnen im Wind. Bleigraue Wolken ballten sich am Himmel wie Chrom, der von Altmetall abblättert. Die Luft war mit Staub und dem Geruch von Frittierfett gesättigt, der Verkehr mehr als dicht. Decker bemerkte plötzlich, dass er Hunger hatte. »Was hat er oder sie Ihnen erzählt?«
Der Chassid stopfte die behandschuhten Hände in die Taschen. »Dass Ephraim sich offensichtlich wegen irgendwas Sorgen machte.«
»Weiter.«
»Er fasste die Einzelheiten in halachische Begriffe - was sind die Pflichten eines Juden gegenüber seinem Bruder?«, sagte Schnitman.
»Interessant.« Decker nickte. »Ist das metaphorisch gemeint?«
»Genau, Lieutenant. Mit Bruderschaft ist im Judentum meistens nicht Blutsverwandtschaft, sondern die größere Familie der kal Yisra'el gemeint - die Einheit aller Juden. Doch diesmal war es wörtlich. Ephraim hatte Ärger mit seinem Bruder.«
»Geschäftlich?«
»Ja, geschäftlich.« Schnitman nickte. »Ephraim erzählte seiner Vertraue nsperson, er hätte mehrmals mit seinem Bruder über das Problem geredet, es aber nicht lösen können.«
»Und?«
»Ephraim stand an einem Scheideweg. Er musste entweder wegsehen oder den
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