Die Schwingen des Todes
nächsten Schritt tun. seinem Vater davon berichten. Seine Seele war in Aufruhr.«
»Hat Ephraim erwähnt, was für Praktiken ihm Sorge machten?«
»Nein, aber man kann sie leicht erraten«, antwortete Schnitman. »Ephraim hat das Lager verwaltet. Er hatte uns erzählt, Chaim hätte ein paar ziemlich hohe Kredite zur Geschäftsausweitung aufgenommen.«
»Moment, Moment. wann war das?«
»Das war vor etwa zwei Jahren. Ephraim war sehr aufgeregt. Mehr Läden bedeuteten mehr Verantwortung, mehr Gelegenheiten für ihn, sich zu beweisen.« Schnitman blinzelte. »Führt Ihr Polizisten denn keine Recherchen durch?«
»Ich bin erst seit letztem Freitag hier und nicht bei der New Yorker Polizei. Meine Recherche besteht darin, dass ich mit Ihnen rede. Erzählen Sie weiter.«
»Das war unhöflich. Tut mir Leid.«
Decker sah auf die Uhr. »Sie haben noch sechs Minuten. Ich will nicht, dass Sie zu spät kommen.«
»Schon gut. Es ist die alte Geschichte, Lieutenant Decker. Der Vater baut den Laden aus dem Nichts auf, dann kommt der Sohn mit grandiosen Ideen, wie man alles größer und besser machen k ann. Anscheinend hat Chaim Kredite aufgenommen, um geschäftlich zu expandieren, doch dann kam die Rezession. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, folgten auch noch die Terroranschläge. Das Geschäft ging drastisch zurück. Nicht nur die Erweiterung wurde gestoppt, Chaim stand auch vor der drängenden Frage, wie er das Geld zurückzahlen sollte.«
»Chaim stahl aus der Kasse«, sagte Decker.
Der Chassid schüttelte den Kopf. »Chaim führte die Kasse. Diebstahl im eigenen Laden wäre wie Diebstahl in der eigenen Brieftasche. Man muss jemand anderen bestehlen.«
»Versicherungsbetrug.«
»Genau. Man gibt gestohlene Artikel an, die einem nie gehört haben. Oder man stiehlt die eigenen Sachen aus dem Lagerhaus, lässt sie sich ersetzen und verkauft sie dann auf dem Schwarzmarkt. Das Problem ist, dass es dabei nur um kleine Beträge geht, denn wenn man's übertreibt, schrillen die Alarmglocken. Wenn man in echten Schwierigkeiten steckt -und ich weiß nicht, ob das bei Chaim der Fall war -, wird es Zeit, einen Profi anzuheuern.«
Decker blickte Schnitman an. »Sie scheinen viel darüber zu wissen.«
»Emek Refa'im ist eine Zuflucht für Drogensüchtige. Viele von uns hatten große Probleme, die zur Sucht führten.«
»Zum Beispiel ein schlechtes Gewissen.«
»Ganz genau«, sagte Schnitman. »Ephraim scheint keine Ausnahme zu sein. Vielleicht war das sein Konflikt; möglicherweise fragte er sich, ob das Lagerhaus abbrennen würde.«
»Nein«, unterbrach ihn Decker. »Ich glaube, wenn Ephraim gewusst hätte, dass Chaim das Lagerhaus abbrennen wollte, wäre er bestimmt zu seinem Vater gegangen.«
»Ja, da haben Sie wohl Recht.«
»Es muss etwas anderes sein. Sind Sie sicher, dass er sich wegen geschäftlicher Dinge solche Sorgen gemacht hat?«
»Ich weiß gar nichts sicher. Ich wiederhole nur, was mir ein anderer erzählt hat.« Er blickte nach oben. »Wahrscheinlich hätte ich nicht einmal das tun sollen.«
»Ich möchte mit der Vertrauensperson reden.«
»Keine Ahnung, wo diese Person wohnt. Ich kenne nicht mal den Nachnamen. Manche Leute sind so. Es ist nicht meinetwegen; ich schäme mich nicht für das, was ich tue, aber wenn meine Probleme ans Licht kämen, würden meine Kinder darunter leiden, besonders in ihrem späteren Leben. Es wäre schwierig, für sie einen schidech zu finden.«
Einen schidech - einen von einem Heiratsvermittler ausgesuchten Partner. »Die Sünden der Väter«, sagte Decker.
»Genau.« Schnitman hielt seinen Hut fest, da der Wind heftiger wurde. »Aber ich möchte Ihnen helfen. Wenn Sie nächsten Dienstag kommen, ist die Person vielleicht beim Treffen. Ich werde Sie einander vorstellen, aber mehr kann ich nicht tun.«
»Nächsten Dienstag bin ich wieder in Los Angeles an meinem Schreibtisch«, entgegnete Decker. Er erinnerte sich an das, was er Donatti gesagt hatte - sechzig Stunden; jetzt blieben ihm kaum noch achtundvierzig. »Trotzdem danke. Sie haben meine Vermutung bestätigt.«
Schnitman sah Decker an. »Sie sind ein guter Mensch, wenn Sie den ganzen Weg auf sich nehmen, um einem anderen Juden zu helfen. Sie haben wahrscheinlich keinen Dank für Ihre Mühe geerntet. «
»Das können Sie laut sagen.«
»Moses erntete auch keinen Dank für seine Mühe«, lächelte Schnitman. »Sie befinden sich in sehr guter Gesellschaft, Lieutenant. «
29
Als Decker zur Synagoge
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