Die Schwingen des Todes
Und weißt du auch, warum?«
»Die Juden waren so böse, dass HaSchem sie ganz, ganz schnell wegbringen musste, weil sie sonst auf der untersten Stufe der Tuma festgesessen hätten - der Sünde. Und deshalb hat HaSchem sie nach zweihundertzehn Jahren rausgeführt und nicht nach vierhundert. «
Alle brachen in Lachen aus. Rina errötete. »Ich glaube, der Rav meinte eher, dass die Juden schnell ausziehen mussten, ehe Pharao es sich anders überlegte.«
»Oh«, sagte Hannah. »Stimmt, das kommt dazu.« »Sie haben da ja eine wahre Denkerin in der Familie«, sagte Miller zu Rina. »Sie ist. außergewöhnlich.«
Decker konnte nicht widerstehen und verschlang ein weiteres Stück Brot. Mit Blick auf die jungen Leute flüsterte Rivka Rina zu: »Gleich berühren sich ihre Nasenspitzen.«
»Wie lange es wohl noch dauert, bis sie sich trauen, einander in die Augen zu sehen?«, gluckste Rina.
Rivka seufzte. »So ist es vermutlich besser, als sich einen passenden Lebenspartner aus dem Schidech-Verzeichnis heraussuchen zu lassen. Trotzdem bin ich ein bisschen überrascht. Rachel ist sonst sehr zurückhaltend. Wie alt ist Ihr Sohn denn?«
»Fast zwanzig.« Rina betrachtete das Mädchen. »Und sie ist wahrscheinlich. achtzehn, neunzehn?«
»Gerade neunzehn geworden. Auf welcher jeschiwa ist er in Israel gewesen?«
»Gush.«
Die Mutter nickte.
»Und Ihre Tochter?«
»Auf der Midrashet Lindenbaum.«
»Ah, in Bravenders«, antwortete Rina. »Die gilt doch als ausgesprochen progressiv.« »Sie hat ihren eigenen Kopf.« »Das ist doch schön.«
»Wie alt waren Sie, als Sie geheiratet haben?«, wollte Rivka wissen.
»Siebzehn. Und Sie?«
»Achtzehn.«
Beide schwiegen.
Dann wandte sich Rivka an ihren Mann. »Genug gefragt, Shragy. Du machst die Kleine ja ganz verrückt.«
»Sie ist sehr klug. Das macht ihr gar nichts.«
»Woher willst du das wissen?«, winkte sie ab.
Endlich kam das Essen. Als alle fertig waren, blieben bis zum Beginn des Konzerts nur noch zwanzig Minuten. Rina sah zu Sammy. Seine Wangen waren noch immer gerötet. Das Essen hatte er kaum angerührt. Sie stieß Decker mit dem Ellbogen an. »Du siehst ein bisschen müde aus, Peter«, flüsterte sie. »Wie wär's, wenn wir die Konzertkarten verschenken und stattdessen einen romantischen Spaziergang machen?«
Decker sah sie überrascht an. »Meinst du wirklich?«
»Natürlich nur, wenn du nichts dagegen hast.«
»Was sollte ich dagegen haben?« Im Gegenteil, er war begeistert. Er hatte gerade eine halbe Kuh verdrückt. Ein Spaziergang würde ihm in jeder Hinsicht gut tun. Außerdem drängte wieder diese leise Stimme in ihm, er solle doch noch einen Versuch unternehmen, Shayndie zu finden.
»Ich glaube, das ist genau das Richtige, Schatz.« Decker griff nach der Hand seiner Frau.
Rina bot die Konzertkarten den Millers an. »Ich bin kein großer Jazzfreund - zu viele Töne auf einmal«, wehrte der Rabbi ab. »Geben Sie die Karten doch einfach den Jungs.«
Jacob entschuldigte sich. »Mein Zug fährt gleich.« »Ich hätte schon Interesse«, meldete sich Reuven. Jacob trat ihm unter dem Tisch ans Schienbein. »Ach, da fällt mir ein, ich muss ja noch packen.« »Wenn kein anderer sie will, nehm ich sie gern«, sagte Sammy. Dann wandte er sich an Rachel: »Kommst du mit?«
»Gerne.« Rachel errötete. »Wäre ja schade, die Karten verfallen zu lassen.«
»Ihr beide sprecht mal lieber euren Tischdank und schaut, dass ihr wegkommt«, sagte Rina. »Sonst wird es knapp.«
»Wir sind drei Männer am Tisch, also sollten wir mesuman benschen«, stellte Rav Miller fest. Das bedeutete, dass die drei Männer vor dem eigentlichen Tischdank gemeinsam eine besondere Gebetsformel zu sprechen hatten. »Dann lassen Sie uns alle benschen und dann gehen«, sagte Decker. »Rav Miller, darf ich Ihnen diese schöne Pflicht übertragen?«
»Tun Sie uns die Ehre«, antwortete Miller.
»Nein, bitte, ich bestehe darauf.«
»Aber Sie haben den Kindern schon Ihre Konzertkarten überlassen.«
Rachel verzweifelte allmählich. »Kann jetzt mal bitte einer anfangen? Sonst kommen wir wirklich zu spät.«
Rav Miller sprach mit der Gruppe den Dankessegen. Anschließend wandte Decker sich an Jacob: »Würde es dir was ausmachen, Hannah und die Einkäufe nach Brooklyn zu bringen?«
Jacob hielt seine Reisetasche hoch.
»Ach ja, stimmt. Du musst ja weg.« So viel also zu seinem Vorhaben, nach Shayndie zu suchen. »Gut, dann bringen wir Jacob zum Bahnhof und fahren danach zurück
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