Die Schwingen des Todes
sein Bein drückte. Er rutschte ein Stück zur Seite, doch die Kleine war hartnäckig und schmiegte ihren Schenkel weiter gegen seinen. Als ihre Hand über seinen Oberschenkel wanderte und sich auf sein Knie legte, reichte es ihm.
Ihn packte die Wut. Er warf Donatti einen hasserfüllten Blick zu, sodass dieser die Hand seines Schützlings von Deckers Schenkel zog.
»Du nervst ihn, Schatz. Komm, wir tauschen die Plätze.« Als er sie mit Schwung über seine Beine hob, klatschte er ihr aufs Hinterteil. »Oh, mach das noch mal«, gurrte sie.
»Benimm dich«, sagte Donatti, »wir sind nicht zu Hause.« »Ach, und seit wann stört dich das?«
Diesmal bedachte er sie mit einem strengen Blick, und sie ließ sich in den Sitz zurückfallen, die Hände brav im Schoß gefaltet.
»Fahren Sie rechts ran«, befahl Donatti dem Taxifahrer. »Lassen Sie die Uhr laufen, und warten Sie auf mich.«
Der Fahrer nickte.
Donatti öffnete den Wagenschlag. »Steig aus. Ich bring dich zur Tür.«
»Wie, kommt er nicht mit rauf?«, fragte das Mädchen. »Nein.«
»Warum denn nicht?« »Darum.«
»Aber vielleicht würde er ja gern?« »Nein.«
»Kommst du mit hoch?« »Nein. Steig aus.« »Aber wieso denn nicht?«
»Raus.« Donatti war mit seiner Geduld am Ende. Er stieß die Tür weit auf und schubste sie aus dem Wagen. Sie fiel auf den Gehsteig, und noch bevor sie sich aufrappeln konnte, stand Chris über ihr, riss sie hoch und zerrte sie zur Eingangstür eines Apartmenthauses.
Als Decker sah, wie grob Chris mit dem Mädchen umsprang, musste er an sich halten. Schließlich war Shayndie nach wie vor verschwunden. Als Donatti und das Mädchen außer Hörweite waren, sagte der Fahrer: »Die Firma sieht es nicht gern, wenn man uns warten lässt.«
»Wenn Sie weiterfahren wollen, ich hab nichts dagegen«, entgegnete Decker.
Der Fahrer lachte auf. »Lieber nicht. Sie wissen doch, wer das i st, oder?« »Ja«, sagte Decker. »Sicher?«
»Christopher Donatti.«
»Ich dachte nur, ich erwähne das besser mal, für den Fall, dass Ihnen das nicht klar ist. Weil er doch gefragt hat, ob Sie sich das Taxi teilen wollten. Hätte ja sein können, Sie kennen ihn gar nicht.«
»Doch, ich kenne ihn. Danke.«
Decker warf einen Blick nach draußen. Das Mädchen schlang die Arme um Donatti und versuchte ihn zu küssen. Aber der drehte den Kopf weg und schob sie von sich. Zum Ausgleich für seine Grobheit gab er ihr noch einen Klaps aufs Hinterteil. Dann stieg er wieder ins Taxi und nannte dem Fahrer die Adresse seines Lofts.
Donatti legte den Kopf zurück und schloss die Augen. Er gab sich völlig unbekümmert. Decker kochte. Je mehr er nachdachte, desto wütender wurde er. Worauf legte Donatti es an? Er konnte ja wohl nicht so schwachsinnig sein, dieses Mädchen - dieses Kind - beauftragt zu haben, ihn zu verführen. Was also sollte das Ganze? Bloß ein kleines Spielchen, um zu sehen, wie Decker sich wand?
Langsam reichte es ihm. Möglicherweise wusste Donatti wirklich etwas, aber im Moment war Decker einfach zu wütend, um den Scheißkerl zu ertragen. Bei Chris konnte er nur mit Ruhe und Gelassenheit etwas erreichen. Er musste sich ein wenig Bewegung verschaffen, um sich zu beruhigen.
»Halten Sie da vorne!«, rief er dem Fahrer zu. Gut zwei Dutzend Blocks von Donattis Loft entfernt. Chris schlug die Augen auf und sah ihn an. »Hier muss ich raus«, sagte Decker noch mal. »Was, hier?«, fragte der Fahrer.
»Ja, hier. Fahren Sie jetzt sofort rechts ran.« Der Fahrer gehorchte.
Decker warf Donatti seinen Anteil am Fahrpreis in den Schoß. »Vielen Dank auch, Kumpel.« Er riss die Tür auf und sprang hinaus.
Decker setzte sich auf dem Riverside Drive Richtung Norden in Bewegung. Es dauerte über zwanzig Minuten, bis sich sein Herzschlag normalisiert hatte. Während er die nahezu menschenleere Straße am Hudson River entlangwanderte, sah er das Bild dieses herumgestoßenen und erniedrigten Mädchens vor sich und dabei hatte sie sich solche Mühe gegeben. Der Gedanke an all diese gebrochenen Seelen deprimierte ihn, aber was half es, mit ihnen zu leiden? Selbst wenn es in Deckers Macht gestanden hätte, sie dort herauszuholen, gab es hunderte, die nur darauf warteten, sofort ihren Platz einzunehmen.
Hier draußen, wo ihm ein strenger Geruch entgegenwehte, war es verdammt ungemütlich. Er näherte sich mit raschen Schritten der 135. Straße und musste allmählich entscheiden, ob er dem Fisch hinterherspringen oder die Leine kappen
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