Die Séance
Natürlich tat es das. Er hatte es extra so eingerichtet. Er war nicht mehr in der Lage gewesen, dauernd die Fotos vor Augen zu haben, den Kleinkram, die Souvenirs der gemeinsamen Fröhlichkeit … des Lebens.
Hier gab es überhaupt nichts Persönliches mehr, während das Haus, das Christina jetzt gehörte, schon nach so kurzer Zeit voller Individualität war.
Er lächelte vor sich hin.
Verdammt. Wenn er ein Geist wäre, dann wäre dieses Haus ganz bestimmt ein Platz, den er sich aussuchen würde, um dort zu spuken, das musste er zugeben. Das Haus barst nur so vor Persönlichkeit. Es steckte noch ein Nachklang der Musik ihres Großvaters darin, und von der heimeligen Atmosphäre, die ihre Großmutter immer umgeben hatte. Überall hingen Bilder … Christinas Mutter als Kind, als Teenager, mit einem Jungen auf einer Tanzveranstaltung posierend, auf ihrer Hochzeit …
Er schüttelte das ab, ging zu seinem Schreibtisch und breitete ungeduldig die Akten vor sich aus. Er fand die Notizen, die Larry Atkins gemacht hatte, nachdem er Beau über Janet Major befragt hatte. Laut Officer Kidd waren sie nicht wirklich zusammen. Der Beamte sagte, sie hätten sich nur mal im O’Reilly’s getroffen, in der Nähe des International Drive. Er las weiter, aber die Worte verschwammen vor seinen Augen.
Er griff nach einer Akte über Grace Garcia. Wieder hatte Larry Atkins den Bericht verfasst.
“Miss Garcia arbeitete Teilzeit im O’Reilly’s”, hatte Atkins geschrieben. “Ihr Manager, Peter Hicoty, war in Tränen aufgelöst, als ich mit ihm sprach. ‘Wir haben sie alle gern gemocht’, sagte er. ‘Hier haben sie alle gern gemocht.’“
Jed legte die Akte hin. Schnell überflog er die übrigen noch einmal. Er hatte sie alle schon so oft gelesen, aber ihm war nie richtig klar gewesen, wonach er eigentlich suchte. Das O’Reilly’s.
Er konnte die Verbindung nicht in jeder Akte finden, aber in Anbetracht der Nähe, in der die ermordeten Frauen gewohnt oder gearbeitet hatten, schien es sehr wahrscheinlich, dass sie zumindest mal zum Essen oder auf einen Drink ins O’Reilly’s gegangen waren.
Wie hatten alle Ermittler diese Möglichkeit nur übersehen können?
Er rief sofort Jerry an, obwohl es schon spät war.
Jerry fragte gleich: “Hast du was?”
“Vielleicht. Das O’Reilly’s.”
“O’Reilly’s?”
“Ja, das ist ein Pub am International Drive.”
“Weiß ich”, sagte Jerry.
“Überprüf das mal. Ich will ja nicht sagen, dass irgendwer, der dort arbeitet, der Schuldige ist, aber ich glaube, dort sucht sich der Mörder seine Opfer”, sagte Jed.
“Da könnte was dran sein”, meinte Jerry. “Ich schicke sofort einen Wagen raus.”
Sie legten auf. Jerry sah sich in seinem Apartment um. Die Leere, die Kälte bedrückten ihn. Er warf einen Blick auf seine Uhr. So spät ist es noch gar nicht, sagte er sich. Er verließ seine vier Wände wieder, stieg in den Wagen und fuhr zu Christina.
Er parkte vor dem Haus, blieb im Wagen sitzen, sah sich um. Nur zwei Autos standen noch in der Einfahrt: das von Christina und der Geländewagen, mit dem Thor, Genevieve und Adam gekommen waren.
Das Haus wirkte ganz ruhig. Er sagte sich, dass er einfach wieder wegfahren sollte, aber er zögerte. Er hatte ja gesagt, dass er zurückkommen würde, auch wenn er nicht gesagt hatte, wann.
Er stieg aus dem Wagen und ging auf das Haus zu. Bevor er klopfen konnte, öffnete Thor bereits die Tür. “Ich dachte, ich hätte ein Auto gehört.” Er lächelte. “Wie ich sehe, hast du doch beschlossen, noch einmal vorbeizukommen.”
“Ja.”
“Nun denn, komm rein.”
Zusammen gingen sie ins Wohnzimmer, in dem Thor sich gerade einen Film ansah.
“Also, was hältst du vom heutigen Abend?”, fragte Thor.
Jed schüttelte den Kopf. “Ich bin mir nicht sicher. Als Adam und ich uns vorhin unterhielten, wollte er gerade etwas sagen, aber dann wurden wir unterbrochen. Allerdings schläft er jetzt wohl, nehme ich an.”
“Wieso gehst du nicht nach oben und schaust nach? Vielleicht ist er noch wach.”
“Glaubst du wirklich?”
“Er ist nicht der Typ, der irgendwas unausgesprochen lässt”, sagte Thor. “Geh wenigstens mal hoch. Das wird ihm nichts ausmachen.”
“Na schön. Danke.”
Jed ging zur Treppe.
Christina wälzte sich im Bett herum.
Es geschah schon wieder.
Sie befand sich in Agonie, wegen allem, was ihr angetan worden war. Sie schluckte, verschluckte sich an ihren eigenen Tränen. Das Monster würde
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